Da war sie wieder: Blaues Jackett, dunkle Hose, Kette aus braunem Achat, altbekannte Frisur.
Nein, eine Typveränderung hat sich Angela Merkel in den letzten Monaten nicht gegönnt. Alles wirkte wie in den sechzehn Jahren zuvor: Regierungswechsel, Kanzler Scholz, war da etwas?
Wie Angela Merkel so da sass auf der Bühne des Berliner Ensembles, man hätte den Eindruck gewinnen können, sie wäre nie weg gewesen.
Gäbe es da nicht den Krieg in der Ukraine. Und dieser – und nicht etwa der Atom-Ausstieg oder ihre Migrations-Politik – droht nun einen erheblichen Schatten auf ihre Kanzlerschaft zu werfen.
Erst Merkels kooperative und auf Interessenausgleich bedachte Politik habe Putin zu seinem aggressiven Vorgehen ermutigt, so der kaum verklausulierte Vorwurf vieler Medien in den letzten Monaten.
Doch Angela Merkel parierte diese Vorwürfe souverän.
In ungewohnt redseliger Art machte sie deutlich, dass sie alles versucht habe, die nun eingetretene Entwicklung zu verhindern. Russland sei die zweitgrösste Atommacht der Welt und ein riesiges Land. Das könne man nicht einfach ignorieren.
Und all jene, die es im Nachhinein schon immer besser gewusst haben, mahnte sie ungewohnt deutlich: «Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur noch schwarz und weiss sehen, sondern dass wir uns noch mal die Umstände ansehen.»
Überhaupt sprach Angela Merkel in ihrer dezenten und bekannt verklausulierten Art manches aus, was in den letzten Monaten in Berlin geradezu als Tabu galt. Diskret, aber deutlich kritisierte sie etwa die aggressive Politik des Westens gegenüber Russland und stärkte ihrem als zögerlich geltenden Nachfolger den Rücken.
Und all jenen, die ihr angesichts der Krise in den letzten Wochen vorwarfen, sich in ihr Privatleben zurückgezogen zu haben, antwortete sie in ihrem typisch trockenen Humor: «Wenn ich dann lese: Wohlfühltermine. Merkel schleicht sich zurück und macht nur noch Wohlfühltermine. Da sage ich: Ja.»
Angesichts der grellen Rhetorik der vergangenen Monate war der Abend mit der ehemaligen Bundeskanzlerin eine Wohltat in Sachen gesunder Menschenverstand.
Spätestens seit 2015 habe wohl nicht nur ich diese Frau dorthin gewünscht, wo es sehr heiß ist und jemand mit Hörnern auf sie wartet. Hier aber muss man ihr sportlich zugestehen: Detailkenntnis, Selbstkritik und die Chuzpe, das, was unsere Kriegstreiber hier (allen voran die Melnyks, Röttgens und die Dame (?) Strack-Z. von der FDP) ihr vorwerfen - nämlich durch das Minsker Abkommen Appeasment gegenüber Putin betrieben zu haben - kühl bestätigt!
Die Ermahnung nicht alles nur schwarz/weiß zu sehen, war eine schallende Ohrfeige für die sendungsbewusste Völkerrechtlernde, mit der metallischen Außenpolitik.
Ich bin alles andere als ein Merkel-Fan, aber wo sie recht hat, hat sie recht...