Sein olivgrüner Rucksack lag in einer Ecke, daneben expeditionstaugliche Stiefel. Tags zuvor war Markus Lanz aus Grönland gekommen, einem Land, von dem er bereits damals, vor sechzehn Jahren, nicht genug kriegen konnte. Bis heute zieht es ihn dorthin, in die, wie er sagt, «gefrorene Ewigkeit». Das Interview führten wir in Hamburg, in seinem Hotelzimmer, was heutzutage, in Zeiten des #MeToo-Alarmismus, kaum mehr denkbar wäre.

Mir schien, er könne gut über sich selbst lachen. Mit kindlicher Begeisterung zeigte er mir Momentaufnahmen von Robben und Eisbären, die er mit seiner Kamera eingefangen hatte. Damals lief sein öffentlich-rechtliches Talk-Format noch nicht, man kannte den moderierenden Südtiroler aus Koch- und Boulevardsendungen.

Schluss mit Plüsch und Plauderei

Die Bewohner Grönlands, die Inuit, sagen: «Alle wahre Weisheit findet man fern von Menschen in der Einsamkeit.» Markus Lanz sagt: «Das Leben ist ein brutales Gemetzel.» Kein Wunder also, dass er drei Mal wöchentlich auf das mediale, von Zwangsgebühren finanzierte Schlachtfeld zieht. Je infernalischer die Verbalgefechte, umso besser.

Anders in den Anfangsjahren. Da war noch Plüsch und Plauderei. Dschungelstars philosophierten über Kakerlaken, Abenteurer über Vulkane und Achttausender, Menschen mit Schicksalsgeschichten rührten zu Tränen. Papst-Experte Andreas Englisch brachte Klatsch und Tratsch aus dem Vatikan mit, Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek meditierte mit allen Anwesenden.

Sagt ein Gast: «Nein, nein, Sie verstehen mich falsch», kontert Lanz: «Doch, doch, genau so meinen Sie es.»

Auf den Zuschauerrängen sitzt heute niemand mehr. Lanz will es so. Eigentlich sollte es nur vorübergehend sein, bedingt durch die Corona-Massnahmen. Man behielt es bei. Nun klatscht also keiner mehr vor Ort. Fraglich, ob es dazu überhaupt einen Grund gäbe. Lange schon wird in Internetkommentaren über den miserablen, zur Selbstverliebtheit neigenden «Moderationsstil» von Lanz geklagt; er wisse alles besser, lasse niemanden ausreden, falle ständig ins Wort. Sagt ein Gast: «Nein, nein, Herr Lanz, Sie verstehen mich falsch», kontert Lanz: «Doch, doch, genau so meinen Sie es.» In der Google-Bewertung gibt es für die Sendung mickrige 2,2 Sterne von maximal fünf möglichen – nur Talk-Kollegin Anne Will unterbietet ihn mit 1,8 Sternen.

An «Wetten, dass …?» scheiterte Lanz kläglich. Zu verbissen, zu streberhaft, um Entertainer zu sein, und zu unbegabt für den erforderlichen Humor. Was er seither, nach dem Aus des ZDF-Klassikers im Dezember 2014, beruflich gemacht hat, war lange nicht klar. Sein Talk-Format lief ungebremst weiter, mit Corona kamen immer mehr Politiker, aber die Rolle, die Lanz dabei spielte, wurde immer fragwürdiger. Ein Moderator hat moderat zu sein, also gemässigt, massvoll. Er hält den roten Faden, vermittelt unter den Beteiligten. Lanz aber interessiert sich dafür ebenso wenig wie Annalena Baerbock für das Ausüben von Diplomatie.

Tribunale inklusive

Mit der deutschen Aussenministerin gemein hat Lanz das Faible für Propaganda-Sound. Mit einem apodiktischen «Unsere Mission ist heilig» gehören beide zu denjenigen, die voranmarschieren, auf dass alle im Gleichschritt folgen. Nicht überliefert ist, ob Lanz auf seinen Abwegen, die weder mit Moderation noch mit Journalismus etwas zu tun haben, so etwas wie ein Erweckungserlebnis hatte. Bereits seit der Pandemie-Ära ist zu beobachten, dass er regelrecht aufblüht, sobald er als Propagandist der Stunde auftreten kann. Tribunale inklusive.

In vertrauter Kumpeligkeit mit Karl Lauterbach – in keiner anderen Talkshow war der SPD-Politiker häufiger zu Gast – wurde der Corona-Kurs der Regierung zum unhinterfragbaren Monstrum aufgeblasen. Berauscht von seiner eigenen eingebildeten Wichtigkeit, schreckte es den ZDF-Mann nicht, damit an einem kolossalen Lügengebäude mitzubauen.

Hemmungs- und nahtlos geht es weiter. Wer Lanz einschaltet, der bekommt seit dem 24. Februar 2022 fast durchgehend russophob gefärbte ukrainische Propaganda. Daher durfte neulich auch nicht fehlen, Russland zu beschuldigen, 16.000 ukrainische Kinder zwangsverschleppt zu haben. Lanz tat so, als hätte er die Kinder persönlich gezählt und befragt. Eine andere Betrachtung, nach der Kinder aus Waisenhäusern, mitunter von verfolgten russischen Minderheiten abstammend, in Sicherheit gebracht wurden, liess er gar nicht erst zu. Dabei ist es nicht neu, speziell Waisenkinder aus Kriegsgebieten auszufliegen, wie etwa aus Kabul oder einst kurz vor dem Fall Saigons.

Eine ukrainische Menschenrechtsbeauftragte erfand vor wenigen Monaten Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten. Sie erklärte, sie habe so den Westen dazu bringen wollen, noch mehr Waffen an die Ukraine zu liefern. Und was eigentlich will Lanz? Niemand sollte für seine brandgefährliche Meinungsmache zahlen müssen.

Dieser Text erschien erstmals am 5. April 2023.