Wenn es um den Ukraine-Krieg geht, kommt bekanntlich kaum ein Leitartikel, kaum eine Talkshow und kaum ein Radiokommentar ohne den Verweis auf den Völkerrechtsbruch aus, den Russland begangen haben soll. Der Terminus «Putins völkerrechtswidriger Angriffskrieg» ist mittlerweile ein fester Textbaustein im deutschen Journalismus.

Haben unsere Meinungsmacher tatsächlich ihre Liebe für das Völkerrecht entdeckt?

Wohl kaum. Wie man aktuell an der Berichterstattung zum wiederaufgeflammten Nahost-Konflikt sieht, scheint es sich dabei eher um ein taktisches Verhältnis als um eine wahre Liebe zu handeln. Israels Verstösse gegen das Völkerrecht werden lieber verschwiegen. Oder haben Sie in den Medien schon mal was von «Bibis völkerrechtswidriger Blockade» gehört oder gelesen?

Dabei ist die völkerrechtliche Lage im Gaza-Konflikt eindeutig. Die vielbeschworene Weltgemeinschaft hat in Gestalt der Ständigen Faktenfindungs-Mission der Vereinten Nationen zum Israel-Palästina-Konflikt erst am Montag dieser Woche einen Zwischenbericht vorgelegt, der sowohl der Hamas als auch Israel schwerste Verstösse gegen die Menschenrechte und Kriegsverbrechen vorwirft.

Auch das aktuelle Vorgehen Israels stösst bei der Uno-Behörde auf scharfe Kritik. Die vollständige Belagerung des Gazastreifens stelle eine kollektive Bestrafung dar – ein Kriegsverbrechen. Ähnlich verhält es sich mit der israelischen Aufforderung an die Zivilbevölkerung, Teile des Gazastreifens zu räumen, um nicht Opfer der bevorstehenden Angriffe zu werden. Human Rights Watch kritisiert dieses Vorgehen aufs Schärfste, der deutsche Völkerrechtler Norman Paech spricht von einer «totalen Verhöhnung des Völkerrechts».

Ginge es hierbei nicht um israelische, sondern beispielsweise um russische Kriegsverbrechen, so wäre ihnen eine ausführliche Erwähnung in den grossen deutschen Medien sicher. Doch wenn es um Israel geht, herrscht tönendes Schweigen. Kriegsverbrechen sind offenbar nur Kriegsverbrechen, wenn sie von «unseren Feinden» begangen werden.

Menschenrechte sind nur dann wichtig, wenn sie in die eigene aussenpolitische Agenda passen.

Jens Berger ist freier Journalist und Chefredaktor der Nachdenkseiten. Er publizierte mehrere Sachbücher, darunter «Der Kick des Geldes» (Westend, 2015) und der Spiegel-Bestseller «Wem gehört Deutschland?» (Westend, 2014).