Arme an die Front und reiche Bürger verschonen? Aktuelle Entwicklungen in der Ukraine lassen tief blicken.

Die Regierungspartei von Wolodymyr Selenskyj soll laut Medienberichten darüber nachdenken, die Kriterien zur Einberufung an die Höhe der Einkommenssteuer zu knüpfen: Geringverdiener mit niedriger Steuerleistung sollen demnach in den Krieg geschickt werden, während Besserverdiener vom Kriegseinsatz verschont bleiben.

Was auch immer aus diesem Vorhaben wird: Allein schon der Gedanke sollte westliche Regierungen, die so sehr die Wertepartnerschaft mit der Ukraine hochhalten, aufschrecken lassen.

Doch von Kritik oder gar Empörung ist keine Spur. Einmal mehr kommt zum Vorschein, wie ein Messen mit zweierlei Mass die Ukraine-Politik des Westens leitet. Einerseits werden Vertreter der Kriegspolitik nicht müde zu betonen, dass sie für Waffeneinsatz sind, weil in diesem Krieg «unsere» guten Werte verteidigt würden. Die «Unterstützung» des Westens basiere, so ihre Darstellung, auf den edelsten Motiven. Freiheit, Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit.

Wie diese Werte mit dem Ausreiseverbot von Ukrainern im wehrpflichtigen Alter in Gleichklang zu bringen sein sollen, dazu tönt vonseiten der Kriegsunterstützer nur ein lautes Schweigen. Und auch die jüngsten Pläne aus der Ukraine machen noch einmal sichtbarer, was ohnehin die meisten Kriegen kritisch gegenüberstehenden Beobachter wissen: Reiche liefern Waffen, Arme lassen ihr leben.

Die Bundesregierung hätte die Möglichkeit, im Sinne der proklamierten Werte laut Kritik an der Ukraine für ihre Einberufungspolitik zu üben. Aber: Fehlanzeige!

Die ukrainische Politikerin Solomija Bobrowska, die den Vorstoss kritisch sieht, sagte laut Taz: «Es bedeutet, dass die grösste Last der Landesverteidigung von denjenigen getragen wird, die am wenigsten davon haben; die in eine arme Familie hineingeboren wurden und die Armut geerbt haben (…).»

Marcus Klöckner ist Journalist und Autor. Demnächst erscheint von ihm: «Kriegstüchtig! Mobilmachung an der Heimatfront».