War was? Wahl war. Europawahl. Aber sonst war eigentlich nichts. Weiter geht’s. Und zwar eigentlich genau wie bisher.

Ursula von der Leyen (CDU), die Kandidatin der konservativen EVP-Fraktion, die auch bei ihrer nunmehrigen Wiederwahl auf keinem Wahlzettel der Bürger Europas stand, hat hinter den Kulissen ein Bündnis geschmiedet, das ihr die nächste Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission sichert. Und: Obwohl sie nicht Teil der informellen Von-der-Leyen-Koalition II aus Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen sind, haben in geheimer Wahl wohl mindestens 44 von 53 Grünen für sie gestimmt. Die deutschen FDP-Liberalen wählten sie nicht.

War was? Ach ja, europaweit hatten die sogenannten Populisten von Giorgia Meloni in Italien über die FPÖ in Österreich bis zum Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen in Frankreich kräftig zugelegt. Europa eine Stimme geben. Aber doch bitte nicht diese.

Und so setzt die oberste Kommission des Kontinents künftig auf «weiter so», was im netteren EU-Sprech «Kontinuität» und «Stabilität» genannt wird. Der Neustart trägt den altbekannten Namen von der Leyen, die in der Union nicht gerade die Spitzenwerte der Beliebtheit errang. Aber es war halt sonst niemand weiter da, und die Alternative wäre laut Ampel-Koalitionsvertrag der Grüne Anton Hofreiter gewesen. Das wollte nun wirklich niemand.

Wenn man sich fragt, warum das verorganisierte Europa so einen miesen Ruf hat, muss man sich dieses Szenario ansehen und weiss Bescheid. Pflichtgemässe Gratulationen und Grinse-Selfies von den Parteifreunden, die von der Leyen erklärtermassen eher ertragen denn gewünscht haben.

Der Bundesverband der deutschen Arbeitgeberverbände beglückwünscht mit Zeilen, die eher eine Abrechnung sind: «Wir gratulieren Ursula von der Leyen zu ihrer Wiederwahl zur Kommissionspräsidentin. Sie erhält damit die Chance, den notwendigen Kurswechsel in Europa schnell einzuleiten – für eine wachstumsorientierte Neuausrichtung der EU-Politik. Der Fokus muss klar auf strategische Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet werden. Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Europa wird jetzt entschieden.»

Im Klartext: Es ist zwei vor zwölf. Sieh zu, dass du aufräumst, was du selbst angerichtet hast: «Die europäischen Institutionen müssen aufhören, Unternehmerinnen und Unternehmer unter Generalverdacht zu stellen. Die EU benötigt eine Führung, die vertrauensvolle Politik gegenüber Unternehmen zur Priorität macht.» Unfreundlicher kann man die neue alte Brüssel-Belladonna nicht begrüssen.

Ganz anders der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft, der sich erst kürzlich mit einem Personalwechsel an der Spitze an die Ampel-Grünen ran- und seinen bisherigen CDU-Präsidenten Peter Kurth rausgeschmissen hatte, um ihn durch die grüne Thüringer Ex-Ministerin Anja Siegesmund zu ersetzen. «Ursula von der Leyen hat in den vergangenen Jahren mit dem Green Deal die richtigen Akzente für Europas Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit gesetzt. Dieser Kurs muss fortgesetzt und noch verstärkt werden …»

Was war die Europawahl gleich noch? Ein Denkzettel von rechts? Wer eines Tages auf diese Zeit zurückblicken und sich fragen wird, warum die Dinge sich entwickelten, wie sie es taten, findet in diesen Zitaten alles, was er wissen muss: Die Wähler signalisieren Protest, die etablierten Parteien machen einfach weiter, die Wirtschaft schlägt Alarm, und die Profiteure machen Druck für mehr grüne Regulierung.

Ein Kontinent im weltweiten Wettbewerb rudert, schwimmt, wurstelt. Pfeift auf irgendeinem Loch, pfeift im finsteren Walde und auf die Bürger. Läuft. Von ganz alleyen.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.