Gilt das Völkerrecht für alle Völker? Oder gilt es nur, wenn es einem passt? Wir reden hier vom humanitären Völkerrecht, vom Kriegsrecht, nicht von irgendwelchen peripheren internationalen Abkommen.

Die Frage stellt sich, wenn wir etwa an die US-Streumunition denken, welche die Ukraine gegen Russland einsetzt. Das Oslo-Übereinkommen zum Verbot von Streumunition hat die Mehrzahl der Staaten unterschrieben. Allerdings sind ihm die USA, Russland und die Ukraine nicht beigetreten.

Dennoch ist das kein Freipass für den Einsatz von Streubomben. In der Beurteilung von Kriegshandlungen schleicht sich schnell eine Doppelmoral ein. Was auf der anderen Seite für helle Empörung sorgt, wird diesseits der Front verharmlost und beschönigt.

Der Völkerrechtler Marco Sassòli von der Universität Genf sagte es in der NZZ schon im Juli 2023 sehr klar: Die Europäer hätten immer argumentiert, «wie grausam diese Waffe sei. Dass sie nun finden, wenn sich ein Land verteidige, sei diese doch nicht so schlimm, ist fragwürdig. Das ist ein Totschlagargument für das humanitäre Völkerrecht. Wenn wir zulassen, dass man im Verteidigungsfall das humanitäre Völkerrecht verletzen darf, ist es tot.»