Weltwoche: Herr XY, Sie müssen aus naheliegenden Gründen anonym bleiben. Wie funktioniert heute der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) als «erste Verteidigungslinie»? Wo liegen die Stärken, wo die Schwächen?
XY: In einem internationalen Umfeld, das von grossen Unsicherheiten geprägt ist, muss man so viel wie möglich voraussehen. Das ist die Aufgabe der Nachrichtendienste. Wie beim Schach sollte man immer einen Zug voraus sein und dabei auch das Undenkbare denken! Antizipation, Früherkennung, Identifizierung und Bewertung von Bedrohungen sowie in Präventivmassnahmen sind die Mittel dazu. Die Stärke des NDB ist unsere Neutralität. Sie ermöglicht uns den Austausch mit vielen anderen Nachrichtendiensten, was anderen Ländern verwehrt bleibt. Da wir ein sehr kleiner Dienst sind, muss man Prioritäten setzen. Ein Netzwerk möglichst vieler persönlicher Kontakte ist entscheidend. Unsere grosse Schwäche wird das mangelnde Personal bleiben.
Weltwoche: Wie beurteilen Sie die Aussage von Bruno Kahl, Präsident des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), die russischen Streitkräfte würden «wahrscheinlich Ende des Jahrzehnts personell und materiell in der Lage sein, einen Angriff auf den Westen auszuführen»?
XY: Ich teile diese Einschätzung des BND-Präsidenten nur teilweise. Zwar bleibt Russland durch seine Atomwaffen, seine Cybermittel sowie seine Mittel im Informations- und Einflusskrieg gefährlich. Aber auf konventioneller Ebene ist das Land eher schwach aufgestellt. Abgesehen von einigen Eliteeinheiten bleibt die russische Armee eine Armee von Wehrpflichtigen. Ihre Bewaffnung, ihre Übermittlung und ihre Logistik stammen aus dem Kalten Krieg. Dass die Russen Polen oder die baltischen Staaten und damit die Nato angreifen, halte ich für wenig wahrscheinlich. Nach dem schwierigen Ukraine-Krieg wird es Jahre dauern, bis Russland wieder für eine grosse Operation bereit ist. Hätte Putin auf seine Generäle und Nachrichtendienste gehört, hätte er sich niemals auf dieses militärische Desaster eingelassen. Wenn die russische Armee Kiew innerhalb von fünf Tagen eingenommen hätte, wäre die Situation anders ausgegangen.
Weltwoche: Regelmässig werden in europäischen Ländern Menschen zu Opfern islamistischer Terrorakte. Nun gehören nachrichtendienstliche Aktivitäten zum Kern nationalstaatlicher Souveränität. Welche Formen der nachrichtendienstlichen Kooperation bestehen auf EU-Ebene?
XY: In diesem Bereich ist die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten ausgezeichnet. Seit den islamistischen Terroranschlägen in den Jahren 2010 bis 2020 war hier ein echter Wandel festzustellen. Der Informationsaustausch und die Anti-Terror-Operationen haben sich vervielfacht, und es wurden Anti-Terror-Staatsanwaltschaften geschaffen. In Europa waren die Erfolge gegen den Terrorismus sofort von grosser Bedeutung.
Weltwoche: Ist ein europäischer Nachrichtendienst beziehungsweise ein EU-Nachrichtendienst angesichts der Abschaffung der Grenzkontrollen eine realistische Option?
XY: Nein, auf keinen Fall sollte ein europäischer Nachrichtendienst gegründet werden. Er wäre ineffizient, würde mit sofortiger Wirkung in der Verwaltung versinken. Geheimdienste hassen diese Art von offizieller staatlicher Struktur.
Weltwoche: Wie funktioniert innerhalb und ausserhalb Europas der nachrichtendienstliche Austausch bezüglich der Ströme von Asylsuchenden beziehungsweise illegalen Wirtschaftsmigranten?
XY: Der schweizerische NDB verfügt derzeit über keine rechtliche Grundlage dafür, in diesem Bereich aktiv zu werden. Aber es handelt sich um ein wichtiges Problem, das zusätzliche Kompetenzen für den NDB erfordern würde.
Weltwoche: Wie beurteilen Sie die Rolle des seit 1971 bestehenden informellen «Berner Clubs» der Chefs der europäischen Nachrichtendienste inklusive der Schweiz und Norwegens?
XY: Als «Berner Club» bezeichnen wir ein zweimal jährlich stattfindendes, sehr wichtiges informelles Treffen für die Nachrichtendienste im Inneren. Unser NDB ist in erster Linie ein innerer Nachrichtendienst, der für die Kantone beziehungsweise für die Kantonspolizeikorps arbeitet, und erst in zweiter Linie ein äusserer Nachrichtendienst, der sich auf sein starkes internationales Kontaktnetz stützen muss.
Weltwoche: Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz Ihrer Meinung nach bei der künftigen nachrichtendienstlichen Tätigkeit?
XY: Künstliche Intelligenz ist schon heute von grosser Bedeutung. Sie ermöglicht es, viel Zeit zu sparen sowie eine konsequente Informationssuche durchzuführen. Dennoch bleibt der Nachrichtendienst ein Beruf für Männer und Frauen. Ob im Bereich der Operationen oder der Analyse: Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Aber bei der Informationssuche und teilweise auch der Analyse, aber sicherlich bei der Informationsverteilung, hilft die KI enorm.
Weltwoche: Vor allem der US-amerikanischen CIA, aber auch anderen Geheim- und Nachrichtendiensten wird oft vorgeworfen, sie seien eine Art «Staat im Staat» beziehungsweise Bestandteil eines Deep State. Was meinen Sie dazu?
XY: Ein Nachrichtendienst kann gefährlich werden, er kann sich zu einem Staat im Staat entwickeln, wenn er nicht kontrolliert wird. In einer rechtsstaatlichen Demokratie ist es wichtig, den Nachrichtendiensten sehr strenge Regeln (Gesetze) zu geben. Voraussetzung ist, dass sie von Zeit zu Zeit geändert werden und neuen Gegebenheiten angepasst werden können. Vor allem sollte man nicht davon ausgehen, dass ein Nachrichtendienst eine Gefahr darstellt, sondern davon, dass er das Land schützt. Was sehr wichtig ist: Die Kontrollinstanzen müssen professionell sein.
Weltwoche: Wie wird verhindert, dass Nachrichtendienste formell oder informell eine politische Agenda verfolgen und ihre Partner entsprechend informieren oder nicht informieren?
XY: Ein Nachrichtendienst muss völlig unpolitisch sein. Er muss zwar von einer Regierung geführt werden, aber unter keinen Umständen darf diese Regierung die Fähigkeiten eines Nachrichtendienstes für politische Zwecke missbrauchen können. Die Kontrollinstanzen sind die Garanten dieser Regeln.
Weltwoche: Ist denkbar, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst beispielsweise bei einer Regierungsbeteiligung der AfD von ausländischen Nachrichtendiensten anders behandelt oder geschnitten würde?
XY: Prinzipiell nein! Da Deutschland ein demokratisches Land ist, gibt es keinen Grund, den dortigen Nachrichtendienst zu umgehen. Es gibt natürlich einige Länder, in denen Korruption und Unrecht allgegenwärtig sind, da gibt es manchmal Einschränkungen. Aber das ist sehr selten.
Weltwoche: Wie stünde es diesbezüglich bei einer allfälligen Regierungskoalition in Österreich unter Führung der FPÖ?
XY: Aus meiner Sicht würde sich gar nichts ändern. Wenn man ein Land, das Politiker demokratisch wählt, aus dem Verkehr ziehen und vom nachrichtendienstlichen Austausch ausschliessen würde, wäre das eine sehr ernste Verweigerung der Demokratie.
Die grösste Gefahr für unsere Schweiz und die schlimmsten Landesverräter sitzen im Bundeshaus! 23:56
Das ist genauso ein korrupter Laden
Unprofessionelle Antworten. Der Einzige der mit klarer Sprache spricht ist Dr. Daniele Ganser.