Streumunition, auch bekannt als Cluster-Munition, ist eine Art von Explosivwaffe, die dazu entwickelt wurde, grosse Flächen mit einer Vielzahl kleinerer Explosivkörper zu bedecken. Die Streumunition besteht aus einem Hauptkörper oder Behälter, der eine grosse Anzahl von kleineren Munitionseinheiten enthält, die als Submunitionen bezeichnet werden.

Beim Einsatz von Streumunition wird der Hauptkörper über dem Zielgebiet abgeworfen oder mit Artillerie dorthin geschossen. Sobald der Hauptkörper den Boden oder eine bestimmte Höhe erreicht hat, öffnet er sich und setzt die Submunitionen frei. Diese Submunitionen verteilen sich dann über ein weites Gebiet und explodieren entweder beim Aufprall oder nach einer bestimmten Verzögerungszeit.

Die Verwendung von Streumunition, bei der über eine grosse Fläche, je nach Zusammensetzung der Submunition, Lebewesen, Fahrzeuge und alles, was sich dort befindet, zerstört werden können, mag militärisch beim Einsatz in der Kampfzone gerechtfertigt sein.

Das grosse humanitäre Problem jedoch ist, dass – vor allem bei der älteren Munition, die jetzt geliefert werden soll – nur zirka 86 Prozent explodieren.

Etwa 14 Prozent bleiben auf der Erde vorläufig als Blindgänger wie Minen liegen: über Jahrzehnte, auch nach Friedensschluss.

Wie soll Russland reagieren, wenn an die Ukraine Streumunition geliefert wird?

Die Erfahrungen in Vietnam, Kambodscha, dem Irak und in Syrien – wo die USA Streumunition eingesetzt haben – zeigen, dass lange nach dem Krieg immer wieder Menschen Opfer einer solchen Munition werden: Wenn man darauf tritt oder sie in die Hand nehmen will, explodiert sie. Opfer werden vorwiegend Kinder, da sie diese Metallstücke als interessante Gegenstände wie Spielzeuge aufheben wollen. Aus diesem Grunde hat man im Rahmen der Uno ein Verbot des Einsatzes von Streumunition angestrebt.

Das Übereinkommen über Streumunition von 2008, auch bekannt als Oslo-Abkommen, zielt darauf ab, die Verwendung, Produktion, Lagerung und Weitergabe von Streumunition zu verbieten. 107 Länder haben das Abkommen unterschrieben und ratifiziert. Weder Russland noch die USA haben unterzeichnet. Russland hat Streubomben bis heute jedoch nirgendwo eingesetzt.

Ich wohne seit 1982 als Industrievertreter der Schweiz vorwiegend in Moskau. Ich habe dort einen relativ grossen Bekanntenkreis aus den verschiedensten Schichten der Bevölkerung, von Kellnern über Fabrikdirektoren und hohe Militärs bis zu Parlamentariern und Juristen aus diversen Sphären. Unter diesen Bekannten machte ich eine Umfrage, bei der ich im Wesentlichen folgende Fragen stellte: Wie soll Russland reagieren, wenn an die Ukraine Streumunition geliefert wird und diese im Kampfgebiet oder gar auf russischem Territorium eingesetzt wird? Soll Russland dann auch Streumunition über der Ukraine verteilen? Was soll Russland entweder zusätzlich oder alternativ dazu tun? Interessanterweise erhielt ich unisono von allen Befragten folgende Antwort:

«Nein, wir sind auf keinen Fall solche Unmenschen, welche unschuldige Kinder töten wollen. Umso weniger in Friedenszeiten lange nach dem Krieg. Ein Einsatz von Streumunition unsererseits darf auf keinen Fall erfolgen.» Die meisten meinten, dass die russische Armee jetzt unbedingt alle Transportkorridore, über welche Waffen in die Ukraine geliefert werden könnten, zerstören solle: alle Flugpisten, Eisenbahnknotenpunkte, Strassen und Brücken an der Landesgrenze et cetera.

Bei vielen herrscht die Meinung vor, dass Russland noch in diesem Jahr in der Ukraine zeigen werde, wer militärisch der Stärkere sei, und dann die Friedensbedingungen diktieren könne. Nach dem Krieg solle Russland einen Kriegsverbrecherprozess organisieren. Alle, die verantwortlich seien für die Lieferung und den Einsatz von Streubomben, sollten dann vor Gericht gestellt werden.

Schon heute solle Russland minutiös Buch führen über alle Personen, die in diesem Zusammenhang bekanntwürden. Verbreitet war unter meinen Bekannten die Ansicht, dass die Lieferung von verbrecherischer – durch die Uno geächteter – Streumunition durch die USA an die Ukraine für Personen im westlichen Ausland ein Augenöffner sein müsste.

Daran könnten die Transatlantiker sehen, wie zynisch brutal eine Regierung sein muss, die über Jahrzehnte hinaus vor allem unschuldigen Kindern das Leben nehmen oder sie zu Krüppeln machen wolle.

Karl Eckstein ist Rechtsanwalt in der Schweiz. Er war Honorarkonsul der Russischen Föderation und Professor für Verfassungsrecht an der Moskauer Staatsuniversität für internationale Beziehungen.