Die Bibel: Matthäus 2, 1–2, 12

Dass der grosse deutsche Reformator Martin Luther bei seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche einen erstaunlichen Mangel an Verständnis für die subtileren Teile des Christentums an den Tag legte, war seit seinem Eingeständnis, dass ihm die Offenbarung des Johannes nichts sage, bekannt. Schrieb er doch in seiner Vorrede zur Apokalypse: «Mein Geist kann sich in dieses Buch nicht schicken.» Zu unklar seien ihm die Worte der Offenbarung, und er müsse das Buch vor allem deswegen ablehnen, «weil in ihm nichts von Christus steht». Im Gegensatz zu dieser weitgehend bekannten Unfähigkeit Luthers, im Auferstandenen und «auf den Wolken Wiederkehrenden» das Herzstück der Apokalypse zu erkennen, ist sein Unvermögen, eine andere rätselhafte Geschichte des Neuen Testaments, nämlich die im Matthäusevangelium geschilderte Ankunft der «Heiligen Drei Könige», zu verstehen, weitaus weniger bekannt.

Die «Könige» stellten die Priesterschaft im zoroastrischen Iran.

Das von Matthäus im Griechischen für die Ankömmlinge gebrauchte Wort magoi stammt vom alten iranischen Wort magu ab, das «Priester» bedeutet. Die Männer, die es bezeichnet, stellten die Priesterschaft im zoroastrischen Iran. Sie waren in der antiken Welt schon deshalb wohlbekannte Gestalten, weil sie Hosen anhatten, die sie von der Toga der römisch-griechischen Kultur auffällig unterschieden.

Auf ihren Wanderungen westwärts brachten sie die dualistische Lehre Zarathustras vom Kampf des Lichts gegen die Finsternis nach Kleinasien und beeindruckten mit ihrem aus den iranischen Mysterienkulten geschöpften Wissen selbst so grosse griechische Philosophen wie Pythagoras und Demokrit, die zu ihren Füssen sassen. Ihre unerwartete Anwesenheit im Neuen Testament stellte Martin Luther vor ein Rätsel, aus dem er, wie bei der Offenbarung des Johannes, nicht klug wurde und das er dadurch löste, dass er die Magier in unauffällige «Weise» verwandelte und damit ein weiteres Mal dokumentierte, wie begrenzt sein Verständnis für die esoterischen Teile des Christentums war.

Die Schriften sind Ausdruck einer Annäherung zwischen Judentum und orientalischen Mysterien.

Zarathustras Wiedergeburt

Obwohl in den folgenden Jahrhunderten viel über das rätselhafte Erscheinen der zoroastrischen Priester in Bethlehem spekuliert wurde, musste die Wissenschaft bis zum Jahr 1947 warten, als Beduinen in einer Felshöhle am Nordwestende des Toten Meeres mehrere Schriftrollen fanden, deren Zahl durch Nachforschungen in weiteren Grotten in den folgenden Jahren auf fast 900 Schriftstücke anwuchs, die alle zwischen zirka 250 v. Chr. und 50 n. Chr. angefertigt worden waren. Als Herkunftsort der Schriften entdeckten die Archäologen um den Dominikanerpater Roland de Vaux die in der Nähe der Grotten gelegene Ruinenstätte von Qumran, wo sie 1951 Reste einer klosterähnlichen Siedlung ausgruben, die sie als ein Ordenshaus der Essener, einer der Wissenschaft bisher nahezu unbekannten und weder im Alten noch im Neuen Testament erwähnten strenggläubigen und asketisch lebenden jüdischen Bewegung, identifizierten.

Die meisten der unterschiedlich gut erhaltenen Schriftstücke, deren vollständige Veröffentlichung erst 2002 abgeschlossen werden konnte, waren Abschriften nahezu sämtlicher im antiken Judentum um die Zeitenwende zirkulierender religiöser Schriften.

Noch sensationeller als diese Abschriften, die um 800 Jahre älter waren als die bisher bekannten Versionen aus dem frühen Mittelalter, waren jedoch zahlreiche voressenische Werke und vor allem die etwa vierzig den Essenern selbst zugeschriebenen Texte. Finden sich doch unter diesen vierzig Eigenproduktionen zahlreiche Schriften, wie zum Beispiel die «Weisheitstexte» oder die «Gemeinderegel» mit ihrem Herzstück der «Zwei-Geister-Lehre», die nach André Paul («Qumrân et les Esséniens») «gnostisch inspiriert» sind, nach Hartmut Stegemann («Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus») auf «dualistischen, altiranischen Einfluss» zurückgehen und für Andrew Welburn («The Beginnings of Christianity») Ausdruck einer bisher nicht für möglich gehaltenen «Annäherung» zwischen dem Judentum und den orientalischen Mysterien sind.

Rudolf Steiners Einsicht

Sucht man nach einem etwaigen Einfluss der Essener auf das frühe Christentum, so findet man diesen nach Ansicht von Hartmut Stegemann «am ehesten im Matthäusevangelium», dem einzigen Evangelium, das von der Ankunft der «Magier» berichtet. Auf die Frage, warum die zoroastrischen Priester nach Bethlehem zogen, kann jedoch auch die Qumran-Forschung keine Antwort geben.

Diese findet sich allein bei Rudolf Steiner, einem wissenschaftlichen Aussenseiter, der darauf hinwies, dass sich in der Geburt Jesu nicht nur die Hoffnungen des Judentums erfüllten, sondern auch die altiranischen Prophezeiungen von der 13. und letzten Wiedergeburt Zarathustras in Palästina. Bedauerlicherweise hat die frühe Kirche die sich daraus ergebende Möglichkeit zu einer universellen Verständigung zwischen den Religionen nicht genutzt und sie stattdessen durch die Legende von den Heiligen Drei Königen ersetzt.

Dieser Text erstmals in der Ausgabe vom 21. Dezember 2022.