Die Entrüstung ist gross. Seit Tagen werden Margit Osterloh und Katja Rost mit Schimpf und Schande bedacht, ausgelöst durch einen durchaus sachlichen Bericht in der Sonntagszeitung. «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen», schrieb das Blatt und stellte die jüngste Studie der renommierten Wissenschaftlerinnen vor. Was sie herausgefunden hätten, könnte die «Debatte um die Gleichstellung verändern».

Journalisten mit bescheidener Bildungskarriere spielen sich als Gralshüter der Wissenschaft auf.Auf jeden Fall hat die Untersuchung mit dem Titel «How to Explain the Leaky Pipeline?» das Leben der Forscherinnen vorübergehend auf den Kopf gestellt. «Wahnsinn, was da passiert», sagt Margit Osterloh. Sie seien von der Heftigkeit der Reaktionen überrascht worden. Osterloh erzählt, dass sie seither zwei Kilo abgenommen habe. Auch Katja Rost berichtet, wenn auch ironisch verbrämt, von faulen Eiern und Tomaten, die auf sie geworfen würden.

Ganz grosse Kanonen

Journalisten und Politikerinnen mit eher bescheidener Bildungskarriere spielen sich als Gralshüter der Wissenschaftlichkeit auf. «Ein Artikel über Studentinnen wirft hohe Wellen – doch die Sache hat einen Haken», mäkelte Watson. Denn «die Frage nach der Kausalität» werde nicht beantwortet. Kathrin Bertschy, Nationalrätin der Grünliberalen und Präsidentin von Alliance F, dem Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, fiel das Adjektiv «absurd» ein, und ihre SP-Ratskollegin Min Li Marti rüffelt, sie habe den Eindruck, «dass die beiden Studienautorinnen den Schlussfolgerungen ihre politischen Präferenzen überstülpen, welche die Resultate der Studie eigentlich gar nicht hergeben». Parteigenossin Tamara Funiciello, die nach eigenen Angaben an der Universität «viel zu selten» anzutreffen war, putzt die Untersuchung im Tages-Anzeiger mit der Bemerkung weg: «Die besagte Studie ist meines Wissens weder publiziert noch Peer-reviewt, also von unabhängigen Wissenschaftlern überprüft. Die Resultate sollten daher mit Vorsicht betrachtet werden.»

Die ganz grossen Kanonen fuhr der wendige Politgeograf Michael Hermann auf: «Es ist beelendend, wie zwei Professorinnen und die Sonntagszeitung es geschafft haben, dieses Thema auf eine reisserische Karikatur zu reduzieren», kritisierte er. Die Karikatur bediene «wunderbar das Vorurteil der faulen Studierten und abhängigen Frauen». Hermann fällte das vernichtende Urteil offensichtlich, bevor er die Studie gelesen hatte.

Andere Präferenzen als Männer

Was steht denn da nun so Furchtbares drin? Osterloh und Rost haben das Phänomen der leaky pipelines untersucht, also die Tatsache, dass Frauen aus universitären Karrieren «wegtröpfeln», je höher die Karriereleiter wird. Dazu haben sie an der Universität und der ETH Zürich umfangreiche Daten über mehrere Jahre erhoben. Im Anschluss daran haben sie bei 9000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine repräsentative Umfrage durchgeführt. Dabei stellten sie fest, dass das Ausmass dieser «rinnenden Leitung» je nach Studienfach stark variiere.

Die Resultate räumen mit beliebten Erklärungen dafür auf, warum der Frauenanteil mit jeder zusätzlichen Karrierestufe abnimmt. Die einflussreiche sogenannte token-Hypothese geht davon aus, dass ein Minderheitenstatus innerhalb einer Gruppe zu Karrierenachteilen führt. Würde dieser Status reduziert, müssten sich die Chancen für die Minderheiten also verbessern. In Bezug auf die Karrieremöglichkeiten von Frauen an der Universität hiesse das: In Fächern mit hohem Frauenanteil müsste die leaky pipeline weniger stark sein, während sie in männerdominierten Studienrichtungen wie Informatik oder Elektrotechnik am grössten wäre.

Die Untersuchung zeige jedoch «völlig unerwartet das Gegenteil», wie Osterloh und Rost schreiben: «Je höher der Anteil der Frauen bei den Bachelor-Abschlüssen, desto stärker ist die leaky pipeline ausgeprägt.» So beträgt der Frauenanteil in der Veterinärmedizin bei den Bachelor-Abschlüssen 82 Prozent, bei den ordentlichen Professuren hingegen lediglich 27 Prozent. Der leak macht also 55 Prozentpunkte aus. Ähnlich sieht es im Fach Psychologie aus: Der Frauenanteil bei den Bachelor-Abschlüssen beträgt dort 80 Prozent, bei den ordentlichen Professuren 40 Prozent. Umgekehrt ist es bei den männerdominierten Studienrichtungen: Hier bleibt der Anteil der Frauen auf jeder Karrierestufe stabil.

Plötzlich ein Tabubruch

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen nicht auf eine Diskriminierung von Frauen schliessen. Die Studentinnen erleben keine Benachteiligung. Vielmehr legen sie weniger Wert auf Karriere und betonen eher das Interesse an einem Fach als Männer und haben andere Wünsche und Präferenzen. Auch bevorzugen Frauen, egal, aus welcher Fachrichtung, einen Partner, der älter und erfolgreicher ist als sie, und wenn sie Kinder bekommen, arbeiten sie eher lieber Teilzeit. In der Konsequenz sorgt damit am Schluss der Mann für das Haupteinkommen.

Mit diesen interessanten Befunden haben sich die Kritiker der Studie kaum befasst. Ihr Aufschrei hänge, wie Katja Rost vermutet, damit zusammen, dass sie den Mythos verteidigen wollten, Frauen würden diskriminiert. Doch dies sei heute nicht mehr der Fall. Das zeigten auch die neusten Studien zu diversen Arbeitsmärkten. So würden Frauen mindestens so oft oder sogar häufiger zu Bewerbungsgesprächen eingeladen als Männer.

Die ganz grossen Kanonen fuhr der wendige Politgeograf Michael Hermann auf.In ihrem eigenen Fach, der Soziologie, kommen Studien zum Resultat, dass Frauen mittlerweile öfter berufen werden, auch wenn sie weniger Publikationen vorzuweisen hätten. Dies – das Mantra der Diskriminierung, das unbedingt aufrechterhalten werden müsse – sei das grosse Thema, um das es hier gehe. Man könne den Frauen auch weiterhin einreden, dass sie benachteiligt würden. Obwohl so viel erreicht worden sei.

Dabei ist das Ganze nicht ohne Ironie. Sowohl Rost wie Osterloh haben sich neben ihren wissenschaftlichen Arbeiten intensiv für eine Verbesserung der Gleichstellung und der Karrierechancen von Frauen starkgemacht und mehrere entsprechende Projekte initiiert. Gemeinsam mit dem Ökonomen Bruno S. Frey, dem Ehemann von Margit Osterloh, zeigten sie auf, wie sich der Frauenanteil in Führungspositionen steigern liesse, etwa durch das Prinzip des «qualifizierten Zufalls». Nichts ist abwegiger, als ihnen vorzuwerfen, frauenfeindlich zu sein.

«Ich bin eine Feministin, aber keine illiberale», sagt Margit Osterloh. Sie wolle anderen nicht vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten. Das gelte auch für Karrieren. Katja Rost reagiert auf die Frage, ob sie eine Feministin sei, mit einer langen Pause. Dann sagt sie: «Das hat so ’nen Touch.» Aber sie sei eine «sehr emanzipierte Frau». Drei Monate nach der Geburt ihres Sohnes arbeitete sie wieder voll und schickte den Kleinen in eine «schweineteure Krippe». Auf die Karriere zu verzichten, kam für sie nicht in Frage. Aber auch sie hält fest: «Ich würde nicht nach unten heiraten wollen.»

«Viele Massnahmen wirken nicht so gut oder nützen gar nichts», bilanziert Katja Rost.Zur Ironie dieser Geschichte gehört auch, dass Rost vor einigen Jahren bereits eine ganz ähnliche Untersuchung veröffentlichte. Trotz ihres durchaus provokanten Titels («Auch Frauen mit Studium wechseln Windeln») blieb damals die Empörung aus. Inzwischen sei es ein Tabubruch geworden, wenn man ausspreche, dass nicht alle Akademikerinnen Karriereabsichten hätten, konstatiert Margit Osterloh. Dies habe mit der überhandnehmenden politischen Korrektheit und der Opferkultur zu tun. Auch Katja Rost stellt fest, die Gleichstellungspolitik habe sich in eine «völlig dogmatische Richtung» entwickelt. Frauen und Männer sollten demnach die gleichen Wünsche und Ziele haben. Dabei handle es sich nicht mehr um Gleichstellung, sondern um «Gleichmachung».

Falsches Bild in der Öffentlichkeit

Als Soziologin und Spezialistin für Shitstorms, die nun selbst einem Shitstorm ausgesetzt ist, sind ihr die Mechanismen der Radikalisierung aus der sogenannten Legitimitätsforschung bekannt. Auch wenn die Mehrheit anders denke, erwecke eine radikale und lautstarke Minderheit den Anschein, die Mehrheitsmeinung zu verkörpern. Dadurch entstehe in der Öffentlichkeit ein falsches Bild, das sich nur schwer korrigieren lasse. Auch wenn ihnen die unsachlichen und teils rufschädigenden Vorwürfe sichtlich zugesetzt haben – Katja Rost und Margit Osterloh werden weiterforschen und sich den Mund nicht verbieten lassen.

Dabei liegt ein Fokus auf der Wirksamkeit von Gleichstellungsmassnahmen. In empirischen Studien haben sie untersucht, was wirklich funktioniert. «Viele Massnahmen wirken nicht so gut oder nützen gar nichts», bilanziert Katja Rost. Meist würden sie auf politischen Druck eingeführt, ohne dass zuvor auf seriöser wissenschaftlicher Grundlage diskutiert worden sei, ob sie überhaupt etwas bringen. Auch ihre jüngste Untersuchung, die so viel Staub aufgewirbelt und den unerschrockenen Wissenschaftlerinnen den Ruf eingetragen hat, Nestbeschmutzerinnen zu sein, ist in diesem Sinne hochwillkommen: als Beitrag zur Versachlichung und Entideologisierung der Debatte.