Kürzlich sagte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider in einem Interview, dass die Zunahme der Schweizer Bevölkerung auf zwölf Millionen diskutabel sei (NZZ vom 25.11.2023): «Bezahlbare Wohnungen, öffentlicher Verkehr, eine gute Raumplanung» würden diese Probleme des Bevölkerungswachstums auf der nicht vermehrbaren Landesfläche lösen. Drei Tage später meldete der Bundesrat, dass die Schweiz bei allfällig gestörter Nahrungsmittelversorgung, also bei Ausfall der heutigen Importe, aktuell gemäss Bundessachplan Ernährung 2023 noch über genügend Landwirtschaftsland verfüge, um die Bevölkerung auch im Krisenfall zu ernähren.

Stimmt diese Einschätzung? Sowohl heute – und erst recht mit zwölf Millionen Einwohnern? Denn der Bundessachplan Ernährung 2023 mit seiner Behauptung, die Ernährungssicherheit in Notzeiten sei gewährleistet, rechnet noch mit 8,1 Millionen Einwohnern und läge somit bei aktuell neun Millionen Einwohnern bereits im Defizit.

 

Ackerflächen am Schreibtisch

Im Überblick wird klar: Bei gleichbleibender, nicht vermehrbarer Landfläche und durch Zuwanderung laufend wachsender Bevölkerung wird das Land immer dichter besiedelt. Dabei nehmen die landwirtschaftliche Bodenfläche und somit unsere Ernährungsgrundlage stetig ab, zugunsten von Infrastrukturen, Arbeitsplätzen und Wohnen. Und wegen des daraus folgenden unerbittlichen landwirtschaftlichen Bodenverlusts gilt der Bundessachplan Ernährung seit den 1980er Jahren der Frage, ob das noch verbleibende Landwirtschaftsland zur Ernährung der Bevölkerung ausreichte, wenn die Importe ausfielen, um dann die Bevölkerung vor Hunger schützen zu können.

Es geht dabei um die ertragreichen Ackerflächen für die direkt essbare pflanzliche Kalorienproduktion, die sogenannten Fruchtfolgeflächen (FFF). Auf diesen Flächen dürfen gemäss Notversorgungsszenario nur direkt essbare Ackerfrüchte produziert werden, also keine Futtermittel für die Fleischproduktion. Erstaunlicherweise sind nun die soeben vom Bundesrat im Sachplan Ernährung 2023 ausgewiesenen Flächen von rund 440 000 Hektar immer noch gleich gross wie die im Bundessachplan Ernährung 1986, also vor vierzig Jahren, ausgewiesenen Flächenzahlen. Inzwischen ist jedoch die Bevölkerung von 6,4 auf 9 Millionen Einwohner gewachsen.

Das heisst, mit der gleichen Fläche, die in den 1980er Jahren für das Überleben von 6,4 Millionen Menschen berechnet wurde, können heute nach Meinung des Bundesrats neun Millionen Einwohner ernährt werden. Wie ist das möglich? Kann die Bevölkerung um Millionen wachsen – und die Ernährungssicherheit ist kein Problem, wie der Bundesrat behauptet?

Hier sind die Fakten: Im Zuge der Bevölkerungszunahme um rund drei Millionen innert vierzig Jahren wurden 130 000 Hektar beste Ackerböden bereits verbaut und der Ernährungsproduktion entzogen. Deshalb wurden die 2023 ausgewiesenen FFF von 440 000 Hektar aus den bisherigen Gunstlagen wegen Überbauung in Richtung peripherer, weniger guter Lagen verschoben. Die Botschaft des Bundessachplans Ernährung 2023, man habe immer noch genügend FFF, ist insofern irreführend, als der reale Flächenverlust der besten Böden nicht erwähnt wird. Die «gesicherten» 440 000 Hektar gemäss Bundessachplan sind eine Rechnungsgrösse, die nicht an konkrete Böden gebunden ist. Es ist eine rein kalkulatorische Modellgrösse, die, der Siedlungsüberbauung folgend, rechnerisch immer mehr in die Peripherie verschoben wird.

Abgesehen davon, dass ein solches Vorgehen letztlich damit endet, dass immer höher gelegene und damit in jeder Hinsicht ungünstige Flächen als fruchtfolgefähig erklärt werden, müsste jetzt schon der Ernährungssachplan 2023 an Limiten stossen, und zwar wegen der Abnahme der Kalorienproduktion. Denn die 440 000 Hektar von 1986 sind qualitativ nicht die gleichen wie die heutigen. Der aktuelle Sachplan 2023 weist aber immer noch die gleiche Kalorienproduktion aus.

Wie kommt diese Brotvermehrung auf schlechterer Bodengrundlage zustande? Im «Berechnungsmodell» des Sachplans wird die geringere Bodenqualität mit Mehreinsatz von Hilfsstoffen ausgeglichen. Woher diese kommen, bleibt fraglich. Verminderte Gründigkeit, reduzierte Wasserverfügbarkeit, nachteiliges Klima et cetera werden im «Modell» einfach durch Mehrflächenzuschläge ausgeglichen. Die obenerwähnte Verschiebung der FFF in schlechtere Lagen hat nun dazu geführt, dass im Mittelland nur noch 60 Prozent der Fruchtfolgeflächen liegen, anstatt der in dieser Gunstlage notwendigen 100 Prozent.

So werden die in guten Lagen fehlenden 40 Prozent dieser Flächen in die voralpinen und gar alpinen Regionen verschoben, wo die ackerbaulichen Erträge wesentlich geringer sind und die gras-/viehwirtschaftliche Nutzung viel effizienter wäre. Bereits 60 Prozent der FFF liegen auf 600 bis 1000 Metern über Meer, also in den für Ackerbau klimatisch weniger geeigneten Lagen.

Eine weitere Massnahme, den Flächenverlust des besten Ackerlandes im Mittelland zu kompensieren, wird im Sachplan dadurch erreicht, indem Böden geringerer Qualität durch sogenannte Bodenverbesserungsmassnahmen (Humuszufuhr von den Baustellen der vordringenden Siedlungsfläche) zu FFF aufgebessert und auf diese Weise neu fabriziert werden. Und dies alles notabene, ohne dass eine ausreichende bodenkundliche Qualitätsdefinition der Fruchtfolgeflächen vorliegt.

Unseriös wirkt in der Mitteilung des Bundesrats zur Ernährungssicherheit auch, dass behauptet wird, die Ausdehnung der Ackerfläche zwecks Mehranbaus durch den Plan Wahlen im Zweiten Weltkrieg (aufgrund der damals durch die Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft, SVIL, vorbereiteten Unterlagen) habe die Kalorienproduktion lediglich um 7 Prozent erhöht – ohne zu erklären, wie diese Zahl mit der damals erreichten Verdoppelung der Kartoffel- und Brotgetreideanbaufläche im Zusammenhang steht. Will das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung die erhoffte Wirkung der Massnahmen zur Versorgungssicherheit gleich selbst in Zweifel ziehen?

Fazit: Ein Überblick über die heute noch vorhandene Ernährungssicherheit und die reale Dynamik des Verlusts unserer Lebensgrundlage durch Siedlungswachstum sowie Bevölkerungszuwanderung fehlt in diesem 2023 aus freischwebenden Modellannahmen zusammengestellten Sachplan!

Besonders brisant ist, wie die Mitteilung des Bundesrats zur Ernährungssicherheit direkt mit der laufenden Agrarpolitik zusammenhängt. Die Agrarpolitik musste bisher die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine sichere Ernährung umsetzen: Sie musste dafür sorgen, dass die Landwirtschaft – mit deutlich anderen Produktions- und Wettbewerbsbedingungen als die Industrie – in der Schweiz dennoch aufrechterhalten werden kann. Während nun der «City State» ungebrochen weiterwächst, stösst er an die nicht vermehrbaren Natur- und Versorgungsgrundlagen. Anstatt hier die Ursachen beziehungsweise die treibenden Kräfte dieses Konflikts sachlich zu erfassen und nach Lösungen zu suchen, wird dieser Grundkonflikt zwischen Wachstumswirtschaft und Naturgrundlage verdrängt. Die ganze Anpassungslast wird auf die Landwirtschaft geschoben.

 

Der grosse Plan

Mehr noch! Es zeichnet sich ab, dass Umweltkonflikte als Hebel benutzt werden, um Wirtschaftsprozesse global zu regulieren, konkret: die Agrarpolitik durch eine alles umfassende «Ernährungspolitik» zu ersetzen. Die Idee ist, die menschliche Ernährung mit den Mitteln der Mikrobiologie neu zu konzipieren und industriell, bodenunabhängig «resilienter und nachhaltiger zu gestalten». Die Ernährung soll wie die Gesundheit globalpolitisch reguliert werden, wie dies in der Covid-Pandemie exerziert worden ist. Der Mensch soll in einen international kodifizierten Ressourcenverbrauchskreislauf eingebettet werden, wo Raum und Bandbreite seiner Lebensführung zunehmend ressourcenbezogen vorbestimmt werden: vom CO2-Kreislauf bis hin zur Gesundheitsvorsorge durch die Art und Weise der Ernährung – mittels vertical farming, synthetischer Produktion, pestizidfrei, klimaneutral et cetera.

Das in der Vernehmlassung stehende Gesetzespaket Agrarpolitik (AP) 26–29 trägt bereits deutliche Ansätze einer global bestimmten Ernährungsregulierung. Und es gibt Druck, diese zu übernehmen, obwohl die Parlamentsmehrheit 2020 bei der Rückweisung der Vorgängervorlage AP 22–25 vom Bundesrat einen Bericht als Manöverkritik an der früheren AP 14–17 verlangte. Denn die Praxis zeigte, dass der in der AP 14–17 als Weiterentwicklung der Direktzahlungen ungenügend kommunizierte Systemwechsel die Landwirtschaft als Produzentin von Lebensmitteln zu unterhöhlen begann.

Die Landwirtschaft wurde da neu für ökologische Dienste, die sie zusätzlich zur Produktion erbringen musste, entschädigt. Für diese «Entschädigung» wurden jedoch bestehende Direktzahlungen herangezogen – in Verletzung ihrer Zweckbestimmung. Unter dem Eindruck dieser durch die AP 14–17 eingeleitete Zweckentfremdung der Direktzahlungen und der in der AP 22–25 offen angekündigten Dezimierung der produzierenden Landwirtschaft verlangte das Parlament eine klare Stellungnahme des Bundesrats, wohin diese «Weiterentwicklung» gehen soll.

Die Antwort des Bundesrats von 2022 signalisierte, dass die Landwirtschaft künftig Teil eines Ernährungssystems sein müsse, das als Ganzes unter Einschluss der Konsumenten, ihres Konsumverhaltens, der Regulierung der Ressourcenflüsse und der Klimaauswirkungen der ganzen Ernährungsweise bis zur Insektenzucht einzubeziehen sei. Die bodenabhängige Landwirtschaft wird als vergleichsweise umweltschädlich qualifiziert, die zugunsten von Klima und Umwelt vom Boden gelöst und gemäss diesen Vorstellungen in ein System transformiert werden soll, das von einer industriellen bodenunabhängigen Produktion der Nahrungsmittelbausteine bis hin zur Neuordnung des Konsums und des Gesundheitswesens alles einschliessen soll.

 

Losgelöst von Produktionsgrundlagen

Wohin die Reise gehen soll, zeigte der im Frühjahr 2023 aus dem politischen Nichts hervorgezauberte Schweizer «Ernährungssystemgipfel», der solche Ziele versuchsballonmässig präsentierte. Diese Inhalte sind nun vom Bundesrat in der AP 26–29 übernommen worden. Wir sehen jetzt, wie die gegen die Warnung der SVIL durchgesetzte Zweckentfremdung der Direktzahlungen dazu führt, die Landwirtschaft zunehmend durch obrigkeitlich-verwaltungstechnisch gelenkte, nichtproduktive Beschäftigungsprogramme einzubinden, vom Boden als Produktionsgrundlage zu «lösen» und die so «weiterentwickelte» Landwirtschaft für die totale Regulierung des Ernährungsbereichs zu konditionieren. Das Bestreben der SVIL (früher Innenkolonisation) dagegen ist es, unsere Bodengrundlage nicht zu verspielen.