Lassen Sie mich entscheiden, woran ich mich störe und woran nicht», ärgerte sich jüngst Tom Hanks. Man solle uns auf unsere eigene Sensibilität vertrauen lassen, «anstatt jemanden entscheiden zu lassen, was uns beleidigt oder nicht beleidigt». Der Hollywoodstar spricht von Büchern mit «Sensitivity Reader»-Korrektur. Er würde kein Buch lesen, das von gewissen Wörtern oder Passagen bereinigt worden sei, um bestimmte Gesellschaftsgruppen nicht zu verletzen, sagte er laut dem Magazin Rolling Stone in einer Diskussion über die überarbeiteten Roald-Dahl-Romane; da wurden beispielsweise in «Charlie und die Schokoladenfabrik» Worte wie «fette» oder «hässliche» Kinder getilgt.
Auch Büchern ist mittlerweile kein friedvolles Dasein mehr beschieden. Die Errichtung einer schmerzfreien Literaturzone ist in vollem Gange, damit Menschen nicht mehr mit Begriffen oder Worten in Berührung kommen, die ihnen Anlass zum Verletzt-Sein geben könnten. Texte sollen «nicht länger Stereotypen reproduzieren», heisst es aus Kreisen, wo eine gutmütige Zuneigung für Sprachkontrolle weitverbreitet ist. Worte oder ganze Abschnitte fallen darunter. «Wenn die Muslimin die Hauptfigur als ‹exotische Schönheit› verführt» – hochproblematisch. Der britische Bestsellerautor Anthony Horowitz («Bond»-Autor) wurde vom «Sensitivity Reader» seines Verlags gebeten, das Wort «Skalpell» in seinem Kriminalroman in «chirurgisches Instrument» umzuformulieren, da es bei Native-American-Lesern Anstoss erregen könnte, wie er im Spectator schrieb. Viele Schriftsteller sind mit der Herausforderung konfrontiert, sich mit einem «Sensitivity Reader» auseinanderzusetzen – der Person, die Texte auf mögliche Anstössigkeiten durchforstet.
Mit Wohlfühleingriffen wird kreatives Schaffen erstickt – egal ob bei Film, Comedy oder Literatur.
Selbstverständlich ist es jedem Autor frei, diesem Vorgehen, oder der Bitte des Verlags, zu widersprechen. Die Konsequenz wäre halt, dass man seinen Buchvertrag verlieren oder die Veröffentlichung riskiert würde. Also besser zähneknirschend klein beigeben, wer nicht möchte, dass eine potenziell beleidigende Stelle, um die man keinen Schutzmantel wickeln möchte, seine Lebensgrundlage, oder wenigstens das Buchhonorar, gefährdet. Es gibt auch Verlage, die keinen Kontrollleser heranziehen und stattdessen ganz auf das Publizieren von Klassikern wie «Huckleberry Finn» verzichten, auch eine kreative Einknick-Lösung; andere erlösen ihre Bücher von Anstössigkeiten unbemerkt.
Ich bin sehr dafür, dass wir einen angenehmen Umgang miteinander pflegen, sensibel mit den Gefühlen anderer umgehen. Ich zweifle einfach, ob das Tilgen von Worten oder Passagen in Büchern jenen Menschen, in deren Namen man diese Kämpfe führt, tatsächlich das gewünschte Ergebnis bringt. Ich sehe nicht, wie ein fettleibiges Kind sich besser fühlt, wenn man einfach Worte in Büchern von ihm fernhält, oder welche Iranerin ernsthaft verletzt sein könnte wegen der Beschreibung «exotische Schönheit». Auch ist ein Buch mit einer Figur, die stereotype Dinge sagt oder tut, ja kein diskriminierendes Buch. Nüchtern betrachtet, muss man annehmen, es handle sich alles um dauergekränkte Leser – die nicht einordnen und obendrauf nicht wissen können, was gut für sie selbst ist. Man kann Bevormundung auch auf die Spitze treiben.
Vor allem aber ist es immer eine schlechte Idee, Kunst Wohlfühleingriffen zu unterziehen, so wird kreatives Schaffen erstickt – egal ob bei Film, Comedy oder Literatur. Kunst hat das Recht, frei zu sein, in all ihren Facetten. Sie muss provozieren, auch weh tun dürfen. Dinge, die beim Lesen schmerzen, können Menschen besser für Unrecht sensibilisieren, als es jede täglich wiederholte «Kampf gegen rechts!»-Parole auf Twitter vermag. «Ein rassistischer Charakter kann verdeutlichen, warum Rassismus so schädlich und falsch ist, auf eine Weise, die reines Predigen über die Übel des Rassismus niemals erreichen könnte», schreibt der Autor Nick Tyrone bei Spiked. Aus Angst vor Shitstorms versuche die Verlagsindustrie aber, (absatzfördernde) Kontroversen zu vermeiden, selbst wenn es auf Kosten des Umsatzes geht.
Lesern in einer aufgeklärten Gesellschaft Worte und Begriffe vorzuenthalten, ist das neue progressiv. Einer Generation anzugehören, die Werke ohne Sensitivitätseingriff lesen durfte, wird wohl bald zum Privileg werden.
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