Das Ligurische Meer war da, bevor wir es sahen. Der Himmel wurde heller, als ob vom Wasser ausgespülter Sand in ihm wäre, die Vegetation dünner. Dann schimmerte es kurz in betörendem Lapislazuli das erste Mal auf, zwischen zwei sanften Hügeln hindurch, jenseits der Leitplanken der A26.

Genua ist nicht mehr weit, Imperia noch hundert Kilometer weiter. Da ist gerade das Glück einer Strasse, die fast nur einem selbst gehört, da ist der adaptive Fahrassistent des Q6 e-tron, der auch die Wege des Denkens unterstützt, weil er einen auf der sicheren Seite der Strasse hält.

Ich frage mich, ob Schweben ein Geräusch hat. Ob es die einzige klanglose Sinfonie der Welt sein könnte. Weil wir uns gerade fortbewegen wie auf einem Luftkissenboot in diesem ziemlich fantastischen Auto, von dem ich den Eindruck habe, dass es wahrscheinlich mehr kann als ich, dass es mehr Funktionen und Fähigkeiten besitzt, als ich je haben werde. Ausser fahren kann es auch massieren, eine Stimme stellt nette Fragen, ob sie helfen könne, ob ich etwas brauche. Das Auto hat eine bessere Bodenhaftung als ich, die tauglicheren Frühwarnsysteme, es macht weniger Fehler, und es bewegt sich geräuschloser durchs Leben.

Ein Rauschen nur ist da, als ob ein sanfter Wind Segel blähen würde. Hin und wieder unterbricht der Blinker wie ein Metronom die klanglose Sinfonie. Ein immer rarer werdendes Gefühl beschleunigt die Seele; jenes, im richtigen Auto in der richtigen Richtung auf der richtigen Strasse unterwegs zu sein, schwerelos wie leichte Gedanken.

Die Reichweite beträgt noch 127 Kilometer, ein Ladestopp noch, irgendwo auf der A10, die wie ein Gebirgskamm über der ligurischen Küste thront. Der vierte Ladehalt seit Zürich wird es sein, und das auch nur, weil aus einem Elektrostecker vor fünfzig Kilometern kein Strom kam, obwohl er es anzeigte. Kein grosses Thema auch, keine Irritation in der kleinen, paradiesischen Innenwelt des Q6 e-tron. Das Display des Navigationsgerätes zeigt nach weiteren fünfzig Kilometern eine Handvoll tauglicher Ladestationen mit 300 kW Leistung an, und der Beifahrer sucht auf dem separaten Display vor sich die vielversprechendste aus. Es ist ungefähr so leicht, wie den Gasfuss zu drücken, ein Fingertippen auf das Symbol reicht, und das Navigationssystem verinnerlicht den Ladestopp, was auch bedeutet, dass die Batterie für die schnelle Stromaufnahme vorbereitet wird. Die Klänge der Sinfonie setzen sich fort, Meter um Meter, Kilometer um Kilometer.

Das Auto hat eine bessere Bodenhaftung als ich, und es bewegt sich geräuschloser durchs Leben.

Dann wächst doch die Anspannung. 29 Kilometer Reichweite noch, und wir sind keine Elektroprofis, noch nicht, das ist der Unterschied, der die Männer von den Jungs trennt. Elektroautomänner wissen in diesem Augenblick, dass man immer ankommt. Wir fahren, kurz vor Imperia, runter von der Autobahn, durch ein Geschlängel von Geraden und Kreiseln, und landen bei einem Supermarkt.

Zwei Ladesäulen, wir docken an, die Karte funktioniert, und wir haben Zeit, Wasser zu kaufen. In der Zwischenzeit hat sich ein anderes Auto an die andere Säule gestellt, die Ladeleistung sinkt rapide, was möglicherweise etwas mit der Kapazität des lokalen Netzes zu tun hat: Vierzig Kilowattstunden werden noch geliefert, die Tendenz geht Richtung zwanzig. Und ja, da war was, erinnert man sich, Strom ist langsam, und jetzt ist er wie Licht ohne Geschwindigkeit. Dreissig Sekunden für einen Kilometer Reichweite, das macht vierzig Minuten für zwanzig Kilometer. Bei sechzig Kilometern Reichweite brechen wir ab, einen längeren Aufenthalt gibt der Ort nicht her.

Der Audi Q6 e-tron könnte in zehn Minuten mit 270 kW Ladeleistung bis zu 255 Kilometer nachladen, das 800-Volt-Bordnetz macht das möglich. Das sind natürlich Werte, die unter idealen Bedingungen gelten. Und dafür, dass das Ladenetz für Elektroautos sich ausdünnt, je weiter weg im Rückspiegel die Alpen rücken und sobald man die grossen Autobahnen verlassen hat, können die Hersteller selbstverständlich nichts.

Der Q6 e-tron ist das erste Serienmodell auf dieser hochmodernen Basis.

Etwas Strom findet sich immer irgendwo, nur so romantisch, wie man sich das auf langen Fahrten in den Süden vorstellt, ist es fast nie. Ich wünsche mir eine hübsche kleine Ladestation, am besten neben einer sympathischen Bar gelegen und geführt von einer freundlichen italienischen Familie. Dort könnte man mit 300 kW laden, und es würde alles auf Anhieb funktionieren. Während der Strom so effizient in die Batterie fliesst wie ein Espresso aus der verchromten Kaffeemaschine in die kleine Tasse, würde ich mich über die Innovationen der Technik freuen. Gleichzeitig käme der beruhigende Gedanke an traditionelle Gewissheiten auf wie jene, dass es in jeder Bar und an jeder Tankstelle in Italien einen guten Espresso gibt.

Ich habe keine Ahnung, warum die, wenn man so sagen kann, Entwicklung der Lademöglichkeiten so sehr hinter dem Fortschritt des Elektromobils hinterherhinkt. Da lanciert Audi gemeinsam mit Porsche die PPE, eine «modulare Fahrzeugplattform», die eine breite Palette von Elektrofahrzeugen unterstützen kann. Dazu ist die Rede von «Elektronikarchitektur» und dem Design der elektronischen Systeme, in diesem Fall das E3 1.2. Der Q6 e-tron ist das erste Serienmodell auf dieser hochmodernen Basis. Und dann kommt man damit an eine Ladesäule mit, sagen wir, bescheidenen Möglichkeiten.

Hier müssen wir kurz über die Preise sprechen. Elektroautos, so ein verbreitetes Vorurteil, sind teuer. Der mit allen Feinheiten ausgestattete luxuriöse Audi Q6 e-tron kostet rund 125 000 Franken. Allerdings geht es auch günstiger, den Q6 e-tron gibt es ab 79 900 Franken, ein nach Schweizer Massstab gutausgestattetes Fahrzeug kostet rund 100 000 Franken. Das ist viel, dafür sinken die Service- und Wartungskosten, die Leasingzinsen sind oft günstig, und wer nicht unterwegs laden muss wie wir Fernfahrer mit Drang nach Süden, der kann zu Hause Strom beziehen, während er schläft.

Dann mag man noch anfügen, dass beim Menschen punkto Automobil stets ein monumentaler Freiheitsgedanke mitgefahren ist und immer noch mitfährt: die Möglichkeit, innerhalb der Grenzen der Welt überall hinzukommen. Von Zürich nach Wladiwostok etwa, von Alaska nach Feuerland, alles, was man brauchte, waren Benzin und hin und wieder einen Mechaniker.

 

Der Traum lebt

Obwohl das natürlich nur einer von einer Million vielleicht tatsächlich gemacht hat, lebte und lebt dieser Traum in uns allen. Die Elektromobilität befindet sich aber noch in einem Transformationsprozess, bis zur erneuten Erfüllung des Traums wird es noch etwas dauern. Weil, nochmals, es an den Strassen der Welt zu wenig Ladestationen gibt, um alle Strassen fahren zu können. Aber das alles bewegt sich natürlich auf, wenn man so will, einer Metaebene, losgelöst von der täglichen Bewegung in den immer selben Mustern. Vielleicht ist es auch nur der Gedanke von einem, der den mentalen Sprung vom Öl- ins Stromzeitalter noch nicht geschafft hat.

Punkto Automobil fährt ein monumentaler Freiheitsgedanke immer noch mit.

Abgesehen von der maximalen Reichweite des Q6 e-tron, die bei 625 Kilometern gemäss WLTP-Norm liegt, seiner unheimlichen Kraft in allen Bereichen, seiner raubtierhaften Geräuschlosigkeit und Beschleunigungsfähigkeit, die das Gefährt in gut sechs Sekunden auf 100 km/h hochjagt, seiner 380 Kilowatt Systemleistung – gut 500 PS –, der aus der Zukunft zu kommen scheinenden Navigationstechnik, seiner Bang-&-Olufsen-Soundmatrix; bei all den technischen, elektronischen und digitalen Meisterwerken der Ingenieurskunst empfand ich als den grössten Luxus nach der achtstündigen Heimfahrt samt obligatem Stau am Gotthard das Aussteigen.

Nichts tat weh, nichts war steif, nichts eingeschlafen. Nicht die Beine, nicht der Hintern, nicht die Arme, nicht die Schultern, nicht der Nacken, nicht die Augen, nicht das Gehirn, nichts ist verschwitzt. Ich stieg da aus, als ob ich gerade einem Vollbad im luxuriösen Badezimmer in der Präsidentensuite eines Luxushotels entstiegen wäre. Und ich bin keine zwanzig Jahre alt mehr, ich bin unwesentlich älter als ein Audi 100 GL.

In Imperia angekommen, diesem grossen Kleinod, dieser Perle, diesem Diamanten, der nur einen italienischen Schliff besitzt und nicht jenen des Massentourismus mit unendlich vielen Eisdielen, Pizzerien mit Fototafeln am Eingang, mit disneyhaften Zugskompositionen, die auf Rädern über die Boulevards fahren. Imperia ist im Grunde ein Italien, das, zumindest an den Küsten des Landes, ausstirbt oder schon ausgestorben ist.

Wir fahren mit dem Q6 e-tron durch die engen Strassen, wir öffnen die Fenster, um den Geruch Italiens einzulassen, jenen von all den Mauern und Wänden und Steinen, die den Duft des Ewigen abgeben. Diese Luft, geschwängert von Blüten und Benzin und dem Salz des Meeres, dem Teergeruch des Hafens. Und um den «Audi-Charaktersound» in uns schwingen zu lassen, dieses monotone Summen, ein «sound of silence», der eine akustische Aura schafft – futuristisch, aber keine alberne Science-Fiction. Man hört den Sound im Innenraum, gleichzeitig wird er über einen Lautsprecher in der Fahrzeugfront nach aussen getragen. Die Sinfonie des Schwebens hat Klänge bekommen.

Was die Menschen am Strassenrand in den engen Gassen hören, ist ein kraftvolles Adagio, in dem ein Crescendo schlummert, das sich als Allegro träumt. Es schnurrt und brummt zugleich, ist zärtlich und ein wenig brachial, eine behutsame Komposition der Stärke. Der Audisound, so könnte man sagen, ist das kongeniale Echo des Fahrzeugs.

Wir fahren zu den markanten Plätzen der Stadt, an den Fischerhafen, den Jachthafen, um Orte zu finden, die die Schönheit und die Charakteristik besitzen, um die Eleganz des Q6 e-tron zu ummanteln. Der Himmel ist von der Sonne in glühendes Rot getränkt, es ist schwül, es soll gewittern, es ist eine dramatische Szenerie, filmreif, ein Heldenepos, vor oder nach der gewonnenen Schlacht. Danach fahren wir den Protagonisten in die Hotelgarage.

Und ich bin keine zwanzig Jahre alt mehr, ich bin unwesentlich älter als ein Audi 100 GL.

Es gibt in der Enge dieses Hotel-Parkings zwei Ladestationen, eine macht Probleme, die andere schwächelt. Wir haben noch vierzig Kilometer Reichweite, gerade genug, um frühmorgens den Audi in den Sonnenaufgang zu drapieren, wenn das Licht noch zärtlich ist und der Himmel ein filigranes, helles Blau. Aber noch ist Abend in Imperia, ein Wind vertreibt die Schwüle, wir sind jetzt zu Fuss unterwegs in den Gassen, laufen zum Meer, an den für den Verkehr gesperrten Boulevard, setzen uns in die «Osteria da Bea», bestellen Fisch und Wein und versinken im wohligen Gefühl eines gelungenen Tages.

Imperia erwacht plötzlich gegen acht Uhr morgens. Die Strassen füllen sich, der Lärmpegel steigt, die Kaffeemaschinen brummen und zischen. Ich laufe zur «Confetteria Piccardo», einem der ältesten Cafés der Stadt unter einer eindrücklichen Laube. Nie, finde ich, ist Italien italienischer, als wenn es sich aufmacht in den Tag, sitzend an den Tischen eines Cafés, wenn es palavert, raucht, wenn es schick daherkommt oder in kurzen Hosen.

 

Espresso und Gedanken

Ich setze mich hin, bestelle einen Espresso und lasse mich treiben von Gedanken. Denke über Beschleunigung und Entschleunigung nach, diese Diskrepanz zwischen der wunderbaren Beschleunigung des Q6 e-tron und der aufgezwungenen Entschleunigung an Ladestationen an Orten, bei denen man sich fragt, woher des Menschen Fähigkeit zur Hässlichkeit kommt. Wieder verfalle ich in den Film einer kleinen Ladestation mit Bar, in zehn, fünfzehn Minuten bei 80 Prozent Ladekapazität, und eine Erinnerung, auf die man immer wieder zufahren und nie von ihr wegfahren möchte.

Um neun Uhr verlassen wir die Garage mit 29 Kilometern Reichweite. Unterhalb des Bahnhofs von Imperia muss es eine 300-kW-Ladestation geben. Wir klicken auf das Symbol auf dem Display, der Rest ist so einfach wie im Kindergarten. Wir kommen auf einen Platz mit vier Ladestationen, alle frei. Und fünfzig Meter weiter steht die «Bar Lucky».

Nicht mehr als ein Holzverschlag ist es, Resopaltische und -stühle, von der Sonne beinah verbrannte Sonnenschirme, eine junge Italienerin mit gebräunter Haut und dunkelblauen Tattoos. Der Tresen der Bar ist ein Sammelsurium von Dingen und Zeugs, irgendwelchen Erinnerungen, irgendwelchen Sachen, die dort, aus welchen Gründen auch immer, liegengeblieben sind. Der Espresso ist vorzüglich, die Toiletten sind sauber. Es ist ein kleines Paradies inmitten einer Einöde. Es ist das perfekte Ladeerlebnis, besser als in jedem Prospekt abgelichtet und beschrieben.

Wir starten den Motor – oder vielmehr das System; das Meer im Rücken, die Alpen vor uns.

In 21 Minuten ist die Batterie wieder zu 80 Prozent vollgeladen. Wir haben jetzt genug Energie, um notfalls auch bis Chiasso zu kommen, deshalb setzen wir uns zuversichtlich in das Auto, starten den Motor – oder vielmehr das System; das Meer im Rücken, die Alpen vor uns. Da ist ein klein wenig Wehmut, aber sie kommt unter die Räder, das Vergnügen zu fahren, ist das stärkere Gefühl.

Es ist wenig los auf den Strassen, wir haben ein Ladekonzept, wir sind auf dem Weg, Elektromobilprofis zu werden, wir sind Elektrocowboys geworden und reiten auf einem Pferd, das uns nie abwerfen und enttäuschen würde.

Zurück in der Schweiz, ist es Zeit, den Q6 e-tron abzugeben, das Pferd in seinen Stall zu bringen. Es schmerzt ein klein wenig, ich merke es, als ich wieder auf meinem eigenen Gaul sitze.