Vergangene Woche war ich an der Auto Zürich, die Messe des umtriebigen Unternehmers Karl Bieri hat sich in den letzten Jahren zu einem durchaus valablen Ersatz für den Genfer Automobilsalon entwickelt, der mit verschiedenartigen Problemen konfrontiert ist und gerade um sein Überleben kämpft. Keine Missverständnisse: Ich finde das schade, das Format einer Themenmesse ist immer noch interessant – gerade bei einem Objekt wie dem Auto, das immer besser wirkt, wenn man es sehen und anfassen kann.
Wie zum Beispiel jenes zigarrenförmige offene Fahrzeug, das in Zürich präsentiert wurde und das wohl als exotische Ausnahmeerscheinung einer der Höhepunkte der Messe ist: Um in einem Bentley Bower Jnr entspannt in Lederjacke und Schutzbrille wie in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts um den Zürichsee zu «flanieren», braucht es vermutlich ein gewisses Mass an Selbstbewusstsein.
Nicht weil man muss, sondern kann
Das bloss 3,7 Meter lange Elektrofahrzeug, das in der Schweiz vom Luxus-Autohaus Schmohl angeboten wird, ist eine, wie es heisst, «Reinterpretation» des legendären Bentley 4.5-Liter Supercharged Team Car No. 2 von 1929. Das bedeutet, der Wagen wird in einer Dimension hergestellt, die exakt 85 Prozent der üppigen Originalmasse entspricht. Verantwortlich für die ungewöhnliche Konstruktion ist die Little Car Company, welche in Zusammenarbeit mit der Bentley Heritage Collection das ungewöhnliche Vergnügungsmobil gebaut hat und damit ihr erstes Modell mit Strassenzulassung realisieren konnte.
Der Rahmen des Bower besteht aus lackiertem Stahl, das Fahrwerk wie damals aus Blattfedern und Reibungsdämpfer. Ein Elektromotor an der Hinterachse treibt das Auto an. Darüber liegt das Heck, welches zwar aus modernem Kohlefasermaterial gefertigt ist und nicht mehr aus Eschenholz besteht. Aber der imprägnierte Stoff wirkt ebenso originalgetreu wie die handgefertigte Kühlerhaube mit Schnallen, Lederriemen und Kühlschlitzen. Der Ladeanschluss sitzt vorne im Kompressorgehäuse, Strom kann über eine Typ-1- oder -2-Steckdose in die Batterie im Fahrzeugboden geleitet werden.
Beim Bentley Bower Jnr handelt es sich um einen ausdrucksstarken Elektro-Kleinwagen ohne besonderen praktischen Nutzen. Die beiden Insassen sitzen im Tandem hintereinander und kommen im gemächlichen Tempo rund neunzig Kilometer weit. Aber gerade darin liegt der Reiz dieses exaltierten Fahrzeugs, das wohl nur in England möglich ist, wo eine reiche Automobilgeschichte auf ein gewisses Mass an sympathischer Eigenwilligkeit trifft. Genauso wird man den Bentley Bower Jnr wohl auch fahren müssen. Nicht weil man muss, sondern weil man kann.
Bentley Bower Jnr First Edition
Motor/Antrieb: Elektroauto; Leistung: 15 kW; Reichweite: ca. 90 km; Höchstgeschwindigkeit: 72 km/h; Preis: ab Fr. 124 500.–
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