Ich gebe zu, es ist sehr verlockend: Ich poste ein Foto im Sommerkleid auf Instagram, und es flattern Herzchen rein; bei einem Kurzvideo mit 600 000 Views winken ein paar Tausend neue Follower; bei einem populären Statement auf Twitter verhält es sich ähnlich, und ich kann nicht behaupten, dass die Aufmerksamkeit mein Ego nicht streichelt (wäre sie mir zuwider, wäre ich nicht Kolumnistin geworden). Dass ich für ein perfektes Foto 500 misslungene geknipst und für ein viral gegangenes, einminütiges Reel so lange an dem Text geschrieben habe wie andere an einem ganzen Buch – who cares? Um meinen Auftritt zu vervollkommnen, streue ich hie und da ein paar Fotos meiner Kochkünste ein. Man muss sein virtuelles Image beleben, wenn man einen Youtube- und einen Instagram-Kanal betreibt. Die Zeit, als wir noch nicht so viel Aufmerksamkeit in Anspruch genommen haben, ist definitiv vorbei.

Viele Menschen beziehen heute ihr Selbstvertrauen hauptsächlich durch die sozialen Medien, sie machen ihr Selbstwertgefühl stark (auch nachhaltig) von der Zustimmung und Anerkennung fremder Menschen abhängig. Bei jüngeren Leuten ist das Risiko besonders hoch. Auf Instagram, Tiktok oder Youtube sind Likes und Abonnenten wie eine virtuelle Währung, die gerne als Indikator für unsere Attraktivität und Beliebtheit interpretiert wird; für viele spielen sie eine wichtigere Rolle als tatsächlicher Erfolg im Leben oder reales Glücklichsein. Sie bestätigen uns, dass uns irgendjemand zur Kenntnis nimmt, auch wenn wir nur an der Strandbar einen lächerlichen Cocktail schlürfen oder einen intellektuell gelungenen Satz auf Twitter schreiben. Das Reizvolle an den Likes ist, dass sie das Belohnungssystem im Gehirn aktivieren, was oft einen sofortigen boost des Selbstwertgefühls bewirkt.

Gegen den Drang, sich zu präsentieren oder mitzuteilen, ist absolut nichts einzuwenden. Wie gesagt, ich nehme mich da nicht raus. Und dennoch muss man die Verhältnisse mal ins Lot rücken: Auch wenn man sich dadurch als A-Promi unter den D-Promis fühlt, so gehören Likes und Herzen und Follower und Abonnenten doch zu den überschätzten Dingen in diesem Zirkus der Selbstinszenierer. Denn der Applaus, so berauschend er auch sein mag, ist oft flüchtig und oberflächlich. Er ersetzt nicht das tiefere Gefühl der Selbstakzeptanz und des wahren Selbstbewusstseins, das von innen heraus kommt.

Um den Auftritt zu vervollkommnen, streue ich hie und da ein paar Fotos meiner Kochkünste ein.

Es ist wie bei Kaffee: Ein starker Espresso kann uns einen schnellen Energieschub geben und für den Moment beleben, aber die Wirkung lässt schnell nach, und bald sehnen wir uns nach dem nächsten Schuss Koffein. Echtes Selbstbewusstsein ist kontinuierlich und unabhängig von externer Bestätigung, es ergibt sich aus einem authentischen Verständnis der eigenen Stärken und Schwächen. Man entwickelt es durch Erfahrungen und die Überwindung von Herausforderungen; hinfallen und wieder aufstehen. Das stärkt das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und fördert, dass wir uns selbst akzeptieren und schätzen.

Das klingt oberlehrerhaft, aber Tatsache ist: Erreicht man den Punkt, an dem man nicht ständig die Zustimmung von anderen sucht und benötigt, winkt eine ganze Reihe von Belohnungen: Man kann sich authentischer ausdrücken und seine Persönlichkeit zeigen, ohne sich zu verstellen. Man wird weniger von den Meinungen anderer beeinflusst und hat mehr Kontrolle über sein eigenes Leben und seine Entscheidungen. Auch ist man weniger anfällig für Druck und Erwartungen, man fühlt sich freier und unabhängiger. Ohne die ständige Angst vor Ablehnung oder Kritik ist man auch eher bereit, Risiken einzugehen und neue Herausforderungen anzunehmen. Wer nicht ständig nach externer Validierung sucht, geht mit hoher Wahrscheinlichkeit glücklicher durchs Leben.

Ob Sie süchtig sind nach virtueller Aufmerksamkeit und Bestätigung, können Sie übrigens ganz einfach testen: Legen Sie das Smartphone in den Sommerferien während dreier Wochen mal beiseite oder öffnen Sie zumindest keine Social-Media-Plattformen, um etwas zu posten. Schaffen Sie den Detox problemlos, gibt es keinen Grund, warum Sie als berufener Teilzeit-Influencer nicht weiter fleissig Bildchen und Videos posten sollten von den Trüffelpastas, den Smoothiebowls und den Katzen dieser Welt.

Herzlichen Erfolg!

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Die 3 Top-Kommentare zu "Sommerferien: Social-Media-Detox"
  • 4525end

    Das Problem der neuen Kommunikationstechniken ist die Übersteigerung zum Narzissmus und der Abbau der Gehirnfunktionen: Kürzlich bin ich einen 3 Meter breiten Radweg gefahren, als mir eine etwa 10-köpfige Personengruppe entgegenging, 3 Personen daddelten ohne aufzusehen mit ihrem Handy herum. Ich wurde genötigt zu bremsen und anzuhalten - auf dem Radweg ! Ich hörte nur: "Wir vorfahren, wir Personen." Ich erspähte eine Lücke und fuhr von dannen.

  • Konservative

    @4525end Ja, genau. Kommt mir sehr bekannt vor. Ich grusele mich schon vor den künftigen Trägern dieser neuen „Apple Computer-Brille Vision Pro“, die es nun auch in Deutschland zu kaufen. Glücklicherweise sind die (noch!) sehr teuer. Immer und überall diese fiese Elektronik. Wenn sie nur wenigstens nicht süchtig machen würde. Zu sehen, wie abhängig die Leute sind, sie verändern und vor allem wie die natürliche Entwicklung auf eine schiefe Bahn gerät, ist beängstigend.

  • stefansmeinung

    Auch das "Innenleben" nebst "Selbstakzeptanz" wird überschätzt und oft sogar sehr falsch eingeschätzt. Es hilft halt kein "da drinnen" und auch kein "da draußen", es hilft nur ein "da oben".