Der urbane Mensch ist nie mehr als zehn Meter von einer Rolex entfernt, heisst es. Von dem her ist es wohltuend, dass es auch noch ein paar andere Uhren gibt. Uhren, die die Welt schöner, bunter und lebendiger machen.

In speziellem Mass darf das für Microbrands gelten. Also Mini-Uhrenmarken, die nur eine Überlebenschance haben, wenn sie sich auf möglichst originelle Weise vom Rest abheben. Meist gegründet von einzelkämpferischen Individualisten, müssen sie den Sprung ins kalte Wasser ohne heritage (jahrhundertalte Firmengeschichte inklusive mitschwingender Vertrauenswürdigkeit und Seriosität), Geld für Marketing, prominente Aushängeschilder (Schauspieler, Sportler, Rapper) et cetera wagen; zu beziehen gibt es sie zudem nur auf der eigenen Website, Präsenz und Visibilität in realen Läden ist keine vorhanden.

Die (Anfangs-)Finanzierung wird häufig über Crowdfunding angestrebt; allein auf Kickstarter findet man in der Kategorie «Uhr» momentan sage und schreibe 6236 Projekte (laufende, angekündigte, zustande gekommene, nicht zustande gekommene). Auffallen will man mit ungewöhnlichem Design (nun ja: Natürlich gibt es auch unzählige Submariner- und Pilotenuhr-Hommagen respektive -Klone oder -Abwandlungen), ausgefallenen Materialien und «neu gedachter» Horologie.

Ein paar Beispiele: The Barrel («Handgefertigte Uhr aus Whiskey-Fassholz»), die RED 3.721 («Die Automatikuhr mit Meteoriten-Marsstaub»), die Tikker («Die Armbanduhr, die Ihr Leben herunter zählt!»), die OVD C117D («Inspiriert vom epischen Flugzeugwrack am schwarzen Strand in Südisland»), die Stund («Die Uhr, die Sie die Zeit fühlen lässt; sie unterteilt die Zeit in feste Zyklen und sendet einen sanft vibrierenden Puls aus») oder die Strond («Die erste Automatikuhr, deren gesamtes Zifferblatt aus demselben Stein geschnitten ist, der für Stonehenge verwendet wurde»).

Man sieht: Alles kann zu einer Uhr verwurstet werden. Wann kommt die Wurstuhr? Ja: Das Streben nach Originalität kann dem potenziellen Käufer auch leicht einmal auf die Nerven gehen. Und so bleibt das Projekt halt nur ein Gag.

 

Ein Meisterstück nach dem anderen

Ein schönes Beispiel, wie es mit dem eigenen Microbrand so richtig in die Hose gehen kann, erzählt ein britischer Uhren-Youtuber auf seinem Kanal «NextOnTheWrist» (Video «My microbrand watch company failed»). Wobei man angesichts der gruseligen Prototypen nur sagen kann: Gott sei Dank werden diese Monster nie auf die Menschheit losgelassen. Es ist einfach von allem zu viel des Schlechten.

Schade, wenn ein Unternehmen bachab geht, das eigentlich alles richtig gemacht und auch Erfolg gehabt hat wie die Werenbach AG des Zürchers Patrick Hohmann. Seine in die Tat umgesetzte (und im Buch «Werenbachs Uhr» beschriebene) Vision: Uhren mit Zifferblättern aus Triebwerken von in der kasachischen Steppe abgestürzten Sojus-Trägerraketen herzustellen. Am Tag des Erstverkaufs im November 2017 hat auch der Verfasser dieses Artikels sich sein Exemplar abgeholt, wie Hunderte andere auch (Modell zwei, Nummer 0851). «Es heisst, bei einem Marathon sollte man nicht lange unterzuckert bleiben», äusserte sich Hohmann gegenüber der Bilanz sechs Jahre später zum Aus von Werenbach; im übertragenen Sinne habe er jedoch genau das gemacht: «Ich war zwölf Jahre lang unterkapitalisiert und funktionierte im Start-up-Modus, irgendeinmal geht das einfach nicht mehr.»

 

Mit 500 Franken ist man gut dabei

Ein Microbrand kann aber auch so richtig durch die Decke gehen, wie das Beispiel des englisch-schweizerischen Brands Christopher Ward zeigt, der ein Meisterstück nach dem anderen herausbringt (neu die skelettierte CW Twelve X). Preislich ist man mit 500 Franken schon gut dabei. Das ist möglich, weil man die Uhren online direkt beim Hersteller bezieht und kein Mittelsmann dazwischensteht. Natürlich: Dafür kann man kein Manufakturkaliber erwarten. Die Werke werden zugekauft; je nach deren Qualität steigt dann auch der Verkaufspreis.

Die Trouvaillen, die man im Universum der Microbrand-Uhren machen kann, sind schier endlos. Und es gibt doch nichts Beglückenderes, als eine Uhr am Handgelenk zu tragen, die man mehr oder weniger exklusiv sein Eigen nennen kann und die man nicht bloss des Angeben-, Imponieren- oder irgendwo Dazu-Gehören-Wollens für einen vollkommen überrissenen Preis erstanden hat.

Im Folgenden die sieben Lieblingsuhren des Schreibenden, die jedermann und -frau den Sommer bestimmt versüssen können.