Incels» steht für «involuntary celibates» (unfreiwillige Zölibatäre) und bezieht sich auf Männer, die unfreiwillig ohne eine romantische oder sexuelle Partnerschaft leben. Heute wird der Begriff oft als schlagkräftiges Beleidigungswerkzeug gegen unliebsame Männer verwendet.

Es gibt Mitglieder der Incel-Community, die extreme Ansichten haben, aufgrund schlechter Erfahrungen oder unerfüllter Sehnsüchte. Manche neigen sogar zu Gewalt gegenüber Frauen – was natürlich inakzeptabel ist. Das hat dazu geführt, dass Incels oft mit gefährlichen Ideologien in Verbindung gebracht werden. Das typische Bild eines Incel? Ein Mann, der sich gehenlässt, übermässig zockt und Pornos konsumiert, Fast Food inhaliert und im Internet seine Frustration gegenüber Frauen auslässt – wie ein wütender Papagei (dem man versehentlich ein paar falsche Worte beigebracht hat, die er jetzt brav repetiert).

Aber nicht jeder, der unbeabsichtigt solo unterwegs ist, ist extrem eingestellt oder hasst Frauen. Einige kämpfen mit sozialen Problemen, die es ihnen erschweren, eine Partnerin zu finden. Oder sie sind stark introvertiert, manche werden aufgrund ihres Aussehens abgelehnt. Andere sind einfach Single, ohne das andere Geschlecht zu verurteilen.

Trotzdem ist es heute gesellschaftlich akzeptabel, Männer, die einem nicht passen, als «Incels» oder «ungef*ckte Incels» zu betiteln, wie ich es immer wieder in den sozialen Medien lese – und niemand empört sich gross, oft wird sogar mit Applaus reagiert. Aber o weh, wage es ja nicht, unfreiwillig partnerlose Frauen als «ungef*ckte Alte» zu bezeichnen! Da bricht jedes Mal ein Shitstorm los.

Es sei ein hartnäckiger Mythos, zu glauben, Frauen seien friedliebender als Männer, sagen Experten.

Diese unterschiedlichen Entrüstungswellen zeigen die unterschiedlichen Massstäbe in der Gesellschaft im Umgang mit geschlechtsspezifischen Beleidigungen. Abwertende Begriffe oder Schmähungen gegen Männer («alte weisse Männer», «Weicheier», «Loser») werden grundlegend viel breiter akzeptiert. Das Phänomen ist auch erforscht. In einer Studie zur «sozialen Akzeptanz sexistischer abwertender Beschimpfungen» aus dem Jahr 2015 wurde etwa festgestellt, dass objektivierende Schimpfwörter in der Arbeitsbeziehung weniger akzeptabel waren, wenn sie von Männern verwendet wurden.

Es sei ein hartnäckiger Mythos, zu glauben, Frauen seien friedliebender als Männer, sagen Experten. Man geht davon aus, dass Frauen genauso aggressiv sein können, nur drücken sie es anders aus – nicht mit Fäusten, sondern mit Worten. Sie würden ihre Aggressivität ausleben, indem sie zum Beispiel sticheln, hetzen, demütigen oder Gerüchte verbreiten.

Der Feminismus hat sicher dazu beigetragen, dass Beleidigungen gegen Frauen als besonders verwerflich gelten; durch den Kampf gegen Diskriminierung in der Vergangenheit entstand auch eine höhere Sensibilität gegenüber abwertenden Äusserungen in der Gegenwart. Aber moderne Männer sind nicht für die Fehler ihrer Vorfahren verantwortlich. Es ist also unsinnig, sie deswegen in manchen Bereichen mit der Anwendung von anderen Massstäben zu bestrafen.

Auch die Rolle der Medien und der Popkultur trägt zur Verstärkung dieser Doppelmoral bei. Manche Filme oder Songtexte normalisieren Beleidigungen gegen Männer, während ähnliche Beleidigungen gegen Frauen scharf kritisiert werden. Das sorgt für mehr Ungleichgewicht in der Wahrnehmung.

Darüber hinaus wird es in unserer Kultur als hinnehmbarer angesehen, Männer härter anzugehen oder zu beleidigen, weil sie oft als kritikfähiger betrachtet werden, wie eine Art Boxsack, der mehr einstecken kann (muss). Mein Eindruck ist, dass viele Männer tatsächlich nicht so schnell beleidigt, auch nicht so dünnhäutig sind wie Frauen – und wenn, dann geben sie es nicht gern zu; sie identifizieren sich ungern als Opfer von irgendetwas, auch nicht von Beleidigungen, eine Lebenseinstellung, die vielen Damen heutzutage völlig fremd sein dürfte.

Frauen hingegen werden als zarte, fragile Geschöpfe angesehen, die verteidigt, beschützt und entschuldigt werden müssen, selbst wenn sie sich schlecht benehmen. Diese liebevolle Vormundschaft wird als wohlwollender Sexismus bezeichnet. Viele Frauen erkennen ihn nicht, da er keine direkten negativen Auswirkungen für sie hat. Wenn wir aber wirklich nach Gleichberechtigung streben, sollte sie für alle gelten.

Folgen Sie unserer Autorin bei Youtube@LadyTamara