Es klingt nach einem selbstlosen Angebot, das via E-Mail an uns Journalisten geht. Man wolle «die Kollegen in den Medien dabei unterstützen, über die wichtigsten Themen unserer Zeit mit der gebotenen Gründlichkeit und Dringlichkeit zu berichten». Konkret geht es aber nur um das eine Thema: den Klimawandel. Der ist komplex, und Journalisten brauchen fachliche Hilfe, um ihn richtig darzustellen. So die Übungsanlage.

Hinter diesem Angebot steckt eine Nichtregierungsorganisation namens Covering Climate Now, kurz CCNow. Getragen wird sie von einer Reihe von Medienhäusern und Nachrichtenagenturen, unter anderem von CBS, NBC, Reuters und Bloomberg, deren Journalisten auf diese Linie eingeschworen werden. Dank ihrer Hilfe soll es auch anderen Journalisten gelingen, «dringlichere Klimageschichten zu produzieren». Denn es sei die Verantwortung der Medien, «die Öffentlichkeit zu informieren und die Machthaber zur Rechenschaft zu ziehen».

Eine ähnliche Stossrichtung verfolgt Climate action against disinformation (CAAD). Dort wird «die Verbreitung trügerischer und falscher Darstellungen» bekämpft.

 

Plädoyer fürs Wegwerf-Handy

Für CCNow und CAAD findet soeben das wichtigste Ereignis des Jahres statt: die Uno-Klimakonferenz COP28, die Ende November in Dubai begann und bis am 12. Dezember dauert. Gut zwei Wochen lang ein Konferenzbetrieb zum Klimathema, das die Medien beherrschen soll – super Chance fürs Agenda-Setting. Wie man den Anlass journalistisch richtig begleitet, jedenfalls aus der Sicht der beiden Organisationen, konnte man sich an einem Webinar zeigen lassen, einem Onlinevortrag für Medienschaffende. Die Weltwoche hat daran teilgenommen.

Der Selbstversuch dauert sechzig Minuten. Das Ergebnis: Wer vorher noch nicht paranoid war, muss es spätestens nach dieser Präsentation sein. Drei Experten malen in der Ausstrahlung ein düsteres Bild: In Dubai scheint der Feind zu lauern, und Journalisten sind unzähligen Gefahren ausgesetzt. Der grösste Teil des Webinars dreht sich um die Frage, wie man sich vor dem Einfluss dieser finsteren Kreise schützt. Es wäre ein Wunder, wenn auch nur ein Teilnehmer wirklich den Weg nach Dubai antreten würde. Es klingt einfach zu gefährlich.

 

Warnung vor der Ölindustrie

Jennie King, Mitbegründerin von CAAD, wendet sich mahnend an ihre Zuhörer. Man solle beim Aufenthalt in Dubai seine elektronischen Geräte immer im Auge behalten, denn: «Jemand könnte an Ihren Laptop, dort einen USB-Stick einsetzen, Daten stehlen oder Spionage-Software installieren.» Auch das Smartphone müsse man vorgängig präparieren: Möglichst wenig installierte Apps, keine biometrischen Daten, und die Koordinaten seiner Liebsten solle man am besten durch fiktive Namen ersetzen.

King blendet an dieser Stelle eine Folie mit einer To-do-Liste ein. Diese klingt nach Verhaltenstipps für einen Besuch in Nordkorea: Niemals ein öffentliches WLAN nutzen, niemals einen QR-Code scannen, niemals eine App nutzen, welche die Veranstalter anbieten. Am besten reise man mit einem «Burner» an, einer Art Wegwerf-Handy nur für diese Zeit. Und am Flughafen sollte man alle Geräte sowieso deaktivieren.

Das Webinar rund um «Desinformation» entwickelt sich mehr und mehr zum Spionage-Thriller, wie ihn John le Carré nicht besser hätte schreiben können.

Aber wer will denn in Dubai so skrupellos Journalisten ausspähen? Die Antwort kommt schnell: die Ölindustrie, die den Klimagipfel heimlich unterwandere. Es gebe «eine Kultur der Fallen», die aufgestellt würden. Klimaleugner hätten in den letzten zwölf Monaten ihre Aktivitäten verstärkt und Verschwörungstheorien gesät, um das Klimaproblem herunterzuspielen. Finanziert werde das von der mächtigen Fossilindustrie, «welche die grössten und tiefsten Taschen hat».

Atemlos liefert Jennie King Beispiele dafür, die nur scheinbar harmlos seien. Tankt ein Influencer auf Tiktok sein Auto mit Benzin, dann steckt laut ihr ein Plan dieser Industrie dahinter, die damit einem jugendlichen Publikum die grosse Freiheit dank fossiler Brennstoffe vorgaukeln wolle.

Die Konferenz COP28 steht in der Tat in der Kritik aufgrund ihrer organisatorischen Voraussetzungen (siehe Kasten). Aber auch vor diesem Hintergrund klingen die Befürchtungen etwas gar dick aufgetragen. Agenten der Ölindustrie, die warten, bis ein Journalist aufs Klo geht, um ihm dann Spy-Software unterzujubeln? Wann immer man in einem Video jemanden sieht, der gerade den Tank füllt, ist das Teil einer grossangelegten Hirnwäsche, finanziert von Shell und Exxon?

Das wäre der richtige Moment, um die Frage aufzuwerfen, wer hier nun eigentlich Verschwörungstheorien verbreitet. Aber das Webinar ist nicht der richtige Ort für kritisches Nachhaken. Man ist hier unter sich. Der Chat füllt sich pausenlos mit begeisterten Dankesvoten anderer Journalisten für die hervorragende Arbeit und Detailfragen rund um den Schutz vor den Feinden.

 

Wissenschaftler als Spione

Zu den Feinden gehört Elon Musk. Seine Übernahme von Twitter, neu X, habe dazu geführt, dass sich die Wissenschaft auf kleinere Plattformen zurückgezogen habe, denn bei Musk wollten die Wissenschaftler natürlich nicht bleiben. Das Ergebnis laut den Referenten: Die Wahrheit erreicht die Öffentlichkeit in diesen «Echokammern» nicht mehr. Deshalb müssten dringend Journalisten in ihren Zeitungen die wichtige Botschaft verbreiten.

Das aber werde immer schwieriger, weil von der Gier getriebene Lobbyisten versuchten, Medienschaffende hinters Licht zu führen. Rund um das Thema Klima sei nichts, wie es scheint, warnt Jessica Green, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität von Toronto. Man solle sich nicht verführen lassen von PR-Aktionen wie der Eröffnung eines Windparks oder von gepflanzten Bäumen. Das Geld fliesse in Wahrheit weiterhin zur fossilen Industrie. Alles andere sei reines «Greenwashing». Die Warnung an die Journalisten ist deutlich: Lasst euch nicht einseifen von schönen Geschichten!

Das Webinar entwickelt rasant absolutistische Züge. Die Veranstalter trauen es den Journalisten sichtlich nicht zu, die Fakten selbst zu prüfen. Fredrick Mugira, ein «Wasser- und Klimajournalist» aus Afrika, gibt Anweisungen. Man solle dem offiziell Gesagten an der COP28 misstrauen und lieber andere Quellen konsultieren. Aber Vorsicht: Selbst Wissenschaftler würden heimlich für Regierungen arbeiten, sie seien regelrechte «Spione». Jeder Gesprächspartner könne einer von ihnen sein.

Unermüdlich wird betont: Wenn es um die Wahrheit geht, gibt es nur einen verlässlichen Partner, und das sind CCNow und CAAD. Jessica Green richtet einen Appell ans Publikum: «Wir beschäftigen uns dauernd mit diesem Thema und warten nur auf eure Fragen, ruft einfach an.» Jennie King bestätigt das und warnt: «Fragt euch immer, zu welchen Kreisen die Person gehört, mit der ihr redet.» Habe man es mit einem Vertreter der fossilen Industrie zu tun, müsse man das dem Publikum deutlich sagen – wenn man denn schon mit ihm spreche, aber am besten lasse man es.

 

Liste der Verdächtigen

Die Botschaft wird immer klarer: Unabhängige Informationen darf man als Journalist nur von denjenigen Organisationen erwarten, die sich dem Kampf gegen den Klimawandel verschrieben haben. Diese wiederum sammeln die Namen von Leuten, denen nicht zu trauen ist, weil sie heimlich andere Interessen verfolgen. Selbstverständlich wird diese Liste nach dem Webinar allen Interessierten zur Verfügung gestellt.

Es klingt nicht nach entspannten Tagen in Dubai für die Teilnehmer am Webinar. Der eine oder andere dürfte sich nun sicherheitshalber wohl doch für die gute alte Schreibmaschine entscheiden. Die ist immun gegen Spyware.

 

COP28 in Dubai: Vom 30. November bis 12. Dezember findet in Dubai die COP28 statt, die 28. Uno-Klimakonferenz. Im Vorfeld wurde Kritik am Austragungsort und an der Organisation laut. Präsident der Veranstaltung ist Ahmed Al Jaber, der mit der Abu Dhabi National Oil Company eines der weltweit grössten Öl- und Gasunternehmen führt. Auf dem Tagungsplan steht ein «Energieübergangsnarrativ», das fordert, dass über das Jahr 2050 hinaus neue Öl- und Gasvorkommen erschlossen und fossile Energieträger verfeuert werden sollen. Erstmals soll zudem eine globale Bestandesaufnahme vorgenommen werden («Global Stocktake»), um zu sehen, wie es um die Klimapolitik steht.