In Deutschland herrscht ein Grabenkampf. Die Beteiligten: zwei Verbände, deren Aussagen Gewicht haben. Sie liegen in einer wichtigen Frage über Kreuz: Soll es beim Thema Ernährung um die Gesundheit der Menschen gehen – oder um das Wohl des Klimas?

Da ist zum einen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Sie zeigt einen starken Drang zum Soft-Veganismus. Ihre Empfehlung: Milch, Eier und Fleisch solle man reduzieren und stattdessen besser täglich 300 Gramm Getreideprodukte zu sich nehmen. Ein gesundes Leben führt laut der DGE vor allem über pflanzliche Nahrungsmittel. Wer sich vorwiegend von Obst, Gemüsen, Nüssen und Hülsenfrüchten ernähre, lebe gesund und «schont die Ressourcen der Erde».

 

Problematische Vermischung

«Einseitig und riskant» sei das, so die Kritik des Vereins Deutsche Akademie für Präventivmedizin (DAPM). Viele der Aussagen der DGE seien zu pauschal oder sogar unwissenschaftlich. Die empfohlene Menge an Getreide beinhalte einen hohen Zuckergehalt, der schädlich sein könne. Was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hier fordere, klinge eher nach Klimaschutz als nach einer gesunden Verköstigung.

Der Vorwurf ist nicht unbegründet. Ernährungswissenschaftler scheinen immer weniger interessiert an Themen wie Nährwerte, Proteine und Vitamine. Stattdessen legen sie den Fokus auf den CO2-Ausstoss bei der Produktion von Nahrungsmitteln. Es geht nicht mehr in erster Linie um die Gesundheit der Konsumenten, sondern um die Rettung der Welt.

Die Vermischung der Themen Ernährung und Klima ist allerdings problematisch. Darauf weist unter anderem Peter de Jong hin. Er ist Professor an der Van Hall Larenstein University im niederländischen Leeuwarden und betont seit Jahren, dass die Behauptung, Fleischkonsum sei ein riesiger Treiber des Klimawandels, viel zu einfach sei. Der CO2-Fussabdruck bei Lebensmitteln sage nur die halbe Wahrheit, weil die enthaltenen Nährstoffe nicht berücksichtigt würden.

«Mineralwasser zum Beispiel kann zwar einen niedrigen CO2-Ausstoss haben, aber man kann sich davon nicht ernähren», so de Jong im Gesundheitsmagazin Voeding. Denn es enthalte kaum Nährstoffe. Die CO2-Emissionen von Bananen und Fleisch zu vergleichen, mache «keinen Sinn». Längst ist erwiesen, dass tierische Lebensmittel oft sehr viel proteinreicher sind als pflanzliche. Zudem weisen sie eine höhere biologische Wertigkeit auf. Damit bezeichnet man die Effizienz, mit der zugeführte Proteine in körpereigene umgewandelt werden. Bei Produkten, die das stärker tun, reichen geringere Mengen, um den Bedarf zu decken.

Diese Zusammenhänge kennt man bei der Kunz Kunath AG, die unter der Marke Fors Tierfutter produziert. Ihr Geschäftsführer Peter Stadelmann hat sich vertieft mit der Aufnahme von Nähr- und Inhaltsstoffen befasst. Seine Berechnungen lassen Zweifel aufkommen an den Empfehlungen der deutschen Ernährungsexperten, wonach man grosse Mengen an reinem Getreide zu sich nehmen soll.

 

Uralter Kreislauf

Sehr viel effizienter sei es, so Stadelmann, beispielsweise Weizen indirekt zu sich zu nehmen – über das Fleisch von Mastgeflügel oder die Eier einer Legehenne. Denn in diesem Prozess werde das Getreide veredelt. Konsumiert man hundert Gramm Weizen direkt, liegt der Anteil des verwertbaren Proteins bei 5,9 Gramm. Mit dem Genuss von einem Ei (6,5 Gramm) oder von Geflügelfleisch (7,8 Gramm) wird dieser Wert übertroffen.

Darüber spreche aber kaum jemand. Peter Stadelmann: «Heute werden tierische Produkte mit unvollständigen Zahlen dargestellt und verteufelt.» Darauf basiere die Bevormundung der Konsumenten hin zu pflanzlichen Lebensmitteln. Spreche er mit Leuten über seine Arbeit, stelle er fest, «dass sie oft einfach irgendetwas gehört haben und diese falschen Informationen dann in den Köpfen festsitzen». Die Anstrengungen der Industrie, die Fleischproduktion nachhaltig zu gestalten, würden ignoriert. «Frustrierend» nennt Stadelmann diese Erfahrung.

Auch Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, betont die Bedeutung tierischer Lebensmittel. Ihr Vorteil liege im «Gehalt an biologisch leicht verfügbaren Nährstoffen». Personen mit erhöhtem Nährstoffbedarf – unter anderem Schwangere, stillende Frauen, Kinder und Jugendliche sowie ältere Menschen – würden davon profitieren. Auch in Ländern mit Mangelernährung sei Fleisch ein wichtiger Nährstofflieferant.

Marc Andrey, Kommunikationsleiter bei Agroscope, bestätigt die Einschätzung des Tierfutterherstellers: «Proteine sind nicht gleich Proteine.» Der menschliche Körper setze diese aus pflanzlichen Lebensmitteln nicht gleich gut um wie aus Fleisch. Eine Studie aus dem Jahr 2016 habe gezeigt, dass eine ausgewogene Ration für Pouletmast bereits einen wesentlichen Anteil von wichtigen Proteinkomponenten enthalte.

Die negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klima durch die Fleischproduktion spricht zwar auch Agroscope an. Das Kompetenzzentrum macht es sich dabei aber nicht so leicht wie viele andere Kritiker. Die Herstellung tierischer Lebensmittel habe auch positive Wirkungen, die zudem verstärkt werden können. Verknüpfe man Tier- und Pflanzenproduktion geschickt, könnten die Konsequenzen für die Umwelt gemindert werden.

Denn zwischen Pflanzen und Tieren herrscht ein effizienter Kreislauf. Pflanzliche und importierte Futtermittel dienen der Aufzucht von Tieren. Deren Ausscheidungen liefern in Form von Gülle und Mist wichtige Nährstoffe für Kulturpflanzen, die wiederum in Futtermittel enden. Forscher wie die bei Agroscope arbeiten daran, diesen Ablauf zu verbessern, indem Nährstoffverluste vor allem bei Stickstoff und Phosphor reduziert werden. Aber das in sich geschlossene System funktioniert grundsätzlich seit Jahrtausenden.

Unverdrossen halten Klimaschützer dennoch an der Botschaft fest, dass ein Verzicht auf Fleisch oder zumindest die drastische Reduktion für die Rettung des Planeten zwingend nötig ist. «Fleischkonsum heizt das Klima an», «Fleisch frisst Land», «zunehmende Nachfrage nach Soja zerstört Lebensräume»: Das sind Warnungen aus der Feder des WWF. Die Schwächen einer rein pflanzlichen Ernährung und die tiefere Effizienz bei Nährstoffen sind dort kein Thema.

Auch diese Aspekte müsse man aber einbeziehen, wenn man die Nachhaltigkeit von Lebensmitteln bewerte, betont Tierfutterexperte Stadelmann. Die «erzwungenen Änderungen unserer Ernährungsgewohnheiten, welche zu einer massiven Reduktion der tierischen Produkte führen sollen», seien sehr kritisch zu beurteilen, hält er in einem Leitartikel seiner Firmenzeitschrift fest.

Die Zeit arbeitet dennoch für den Kurs der Pflanzenverfechter. Tierische Lebensmittel sind überall unter Druck, wo die Politik Einfluss hat. Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat im vergangenen Jahr angeordnet, dass bei Verköstigungen in seinem Ministerium eine «Sondererlaubnis» nötig ist, um Fleisch essen zu dürfen. Auch in der Schweiz gibt es politische Vorstösse, Fleisch aus öffentlich zugänglichen Kantinen zu verbannen. Und in manchen Universitäten muss man tierische Produkte schon heute mit der Lupe suchen oder erhält sie nur an bestimmten Tagen.

 

Atmosphäre gegen Körper

Schwerter zu Pflugscharen: Das war gestern. Heute gilt: Metzgereien zu Mähdreschern. Ausgeblendet wird bei dieser Forderung alles, was nicht in die Rechnung passt. Zum Beispiel die Tatsache, dass Weideland für Nutztiere viel mehr CO2 speichert als Ackerland. Bereits 2015 zeigten Forscher in den USA zudem, dass die Herstellung diverser pflanzlicher Lebensmittel pro Kalorie mehr Klimagase erzeugt, als das bei tierischen Produktionen der Fall ist.

Apropos Kalorien: Auch da schneiden die angeblich gesünderen fleischlosen Alternativen oft schlechter ab. Bei Vergleichen zwischen einem Rindfleisch-Burger und dem Produkt eines bekannten Herstellers von veganen Ersatzprodukten zeigte sich: Der Pflanzen-Burger ist eine regelrechte Kalorienbombe mit einem Gehalt von fast 70 Prozent mehr.

Das können Ernährungsexperten eigentlich nicht gut finden. Ihr Fokus hat sich aber längst verschoben. Gegessen werden soll, was die Atmosphäre am wenigsten belastet – und nicht den Körper.