Die Erleichterung ist enorm, es ging alles gut, nach dem Infarkt wurde das Herz im Spital rasch und wirksam repariert, ein Stent gesetzt, nach vier Tagen konnte der Mann schon wieder Sport treiben. Die moderne Medizin erbringt Wunderleistungen, und dazu tragen neben den Menschen Tausende von Teilen in den ganzen Arbeitsabläufen bei – auch die kleinen dünnen Schläuche, die Dichtungsringe oder die Spritzen, die unscheinbar wirken. Die Materialeigenschaften solcher Stoffe bieten Gewähr, dass beispielsweise Katheter reibungsarm durch Gefässe gleiten und nicht mit dem Gewebe verkleben, die Überlebenschancen steigen.

Es sind Materialien von überragender Haltbarkeit, solid, widerstandsfähig gegen Säure, Wasser, Fett Schmutz – zahlreiche erstrebenswerte Eigenschaften machen diese Substanzen zu Bausteinen für Wunderprodukte in der Medizin, der Technik aber auch im Alltagsleben. PFAS ist das Kürzel für diese Stoffe: per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, deren Besonderheit es ist, dass sie an wichtigen Stellen ihrer chemischen Struktur zahlreiche Fluoratome aufweisen.

 

Umfangreiche Vernehmlassung

Ewigkeitschemikalien nennt man diese speziellen Verbindungen auch, weil sie sich sehr lange unverändert halten. Das bedeutet Vor- und Nachteile zugleich: Über die Zeit hinweg hat sich gezeigt, dass die PFAS in die Umwelt gelangen können, und – weil sie sich lange Zeit nicht abbauen – sich dann an vielen Orten ablagern und Schaden anrichten können.

Regierungen der EU haben 2023 deshalb einen Vorschlag zur Beschränkung dieser Substanzen ausgearbeitet, der je nach den noch zu treffenden politischen Entscheiden weitgehende Verbote bringen könnte. Dies betrifft formal die EU, dann aber auch die Schweiz, die das Chemikalienrecht in der Regel nachvollzieht. Während der Konsultation dazu sind laut EU-Angaben über 5600 Kommentare aus 53 Ländern bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingegangen, 23 Prozent der Kommentare kamen aus Deutschland.

Christine Roth, Ressortleiterin Umwelt bei Swissmem, dem Branchenverband der Schweizer Tech-Industrie, bestätigt: «PFAS sind jetzt zu einem grossen Thema geworden, weil eine Regulierung dieser Stoffe in der EU vorgeschlagen wurde. Es zeichnet sich eine sehr umfassende Einschränkung unter dem bestehenden EU-Chemikalienrecht ab.» Was heisst «umfassend»? Nach Roths Worten handelt es sich um eine starke Einschränkung in dem Sinne, dass für gewisse technische Anwendungen aus heutiger Sicht keine Alternativen bekannt seien, die im Fall eines Verbots realisierbar erscheinen.

Vor- und Nachteile der PFAS scheinen wie zwei Seiten einer Medaille zu sein. Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender des in Medizin- und Sicherheitstechnik tätigen deutschen Drägerwerks, wurde zu den möglichen Auswirkungen eines generellen PFAS-Verbots für sein Unternehmen und seine Branche so zitiert: «Die Beständigkeit, die als Argument für die breite Beschränkung herangezogen wird, ist genau die wesentliche Eigenschaft, welche diese Werkstoffe so unentbehrlich macht. Deswegen wird jeder Ersatzstoff das gleiche Problem bekommen.»

 

Bedenken der Versicherer

Die Regulierungsdebatte zeitigt Wirkungen über die Branche hinaus. Soeben hat auch der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) den Schweinwerfer auf das Thema gelenkt. Unter dem brisanten Titel «PFAS als Emerging Risk» schreibt er: «Neue Technologien und die Entwicklung der modernen Gesellschaft bieten neue Chancen, aber auch neue Gefahren. Solche neuartigen zukunftsbezogenen Risiken, die sich dynamisch entwickeln und eben nur bedingt erkennbar und bewertbar sind, werden als ‹Emerging Risks› bezeichnet.»

Sobald Studien einen Zusammenhang zwischen PFAS und Gesundheitsbeeinträchtigungen beim Menschen feststellen könnten, werde dies, so der SVV, unweigerlich zu Klagen führen. Er spricht also nicht direkt von festgestellten Beeinträchtigungen, wobei dies für einzelne PFAS bereits der Fall ist, die entsprechend auch verboten oder stark eingeschränkt worden sind.

Jedenfalls bringen die Versicherer doch die Warnung an: «Im Rahmen der Produkthaftpflicht oder Betriebshaftpflicht können unter anderem Versicherungsnehmer aus den Bereichen Lebensmittelindustrie, öffentliche Dienste (z. B. Wasseraufbereitung), Betreiber von Flughäfen, Textilindustrie, Papierindustrie, Metallverarbeitung, Gebäudetechnik (z. B. Wärmepumpen, Fassaden), Abfallbehandlung oder Medizinalprodukte exponiert sein.»

Exponiert sein – heisst das, dass der Druck wächst, auf den Einsatz bestimmter PFAS zu verzichten? Eigentliche Hersteller von PFAS gibt es in der Schweiz keine, aber die obengenannten Industrien sind Anwender von PFAS in unterschiedlichen Formen. Zu bedenken gibt der SVV auch, dass Arbeitnehmer während der Ausübung ihrer Tätigkeiten und gewisser Herstellungsprozesse PFAS ausgesetzt sein könnten.

So weit die Assekuranz. Aus umweltwissenschaftlicher Sicht legt Professor Martin Scheringer, Privatdozent für organische Umweltchemie am Departement für Umweltwissenschaften der ETH Zürich, hier im Interview (zur Story) dar, wie die Beschaffenheit und Eigenschaften der debattierten Substanzen vor dem Hintergrund der Regulierungsvorschläge zu beurteilen sind. Und zur Illustration der praktischen Bedeutung werden auf diesen Seiten vier Produkte konkret vorgestellt, die sich durch die PFAS-Eigenschaften mit ihrem Gebrauchsnutzen im Markt durchgesetzt haben.

Christine Roths Einschätzung zum Veränderungsdruck bei der Anwendung von PFAS: «Es werden in nächster Zeit sicher viele neue Alternativen entwickelt werden. Innovationen sind gefordert und werden sicher auch in vieler Hinsicht aufzeigen, was möglich ist. Aber es gibt ganz klar gewisse technische Verwendungen, bei denen wir es als sehr schwierig einschätzen, technische Alternativen bereitzustellen. Dies schon aus rein chemisch-physikalischen Gründen, weil eben genau diese stabile Fluorverbindung im Molekül entscheidend ist für die technischen Eigenschaften.»

Stefan Dräger machte 2023 einen weiteren Einwand geltend: «Zudem wären die Entwicklung und die Zulassung von Alternativen, wenn es sie denn überhaupt gäbe, in den vorgeschlagenen Fristen nicht machbar. Deren klinische Validierung und Biokompatibilitätsprüfung sind sehr zeitaufwendig. Nicht zuletzt aufgrund der hohen regulatorischen Anforderungen an die Medizintechnik.»

Alternativen zu PFAS sind nach Christine Roths Darlegung oft aus technischen Gründen schwierig zu finden, weil sie bestimmte Funktionen erfüllen müssten, zum Beispiel säureresistent sein, hitzebeständig sein, wenig Reibung verursachen oder viel Reibung aushalten, wenig Abrieb generieren. Auch Antihafteigenschaften seien häufig unerlässlich. Oft sind mehrere Funktionen gleichzeitig gefragt.

 

Zielkonflikte

Ein wichtiges Thema seien Dichtungen in ganz verschiedenen Anwendungen, in Maschinen, in Pumpen. Brisant sei dies etwa für die Halbleiterindustrie. Da gehe es nicht nur um PFAS in den Halbleitern, sondern auch um PFAS im Prozess der Herstellung, an dem Pumpen beteiligt seien. «Diesem zweiten Aspekt wird in den Beschränkungsvorschlägen überhaupt nicht Rechnung getragen», wendet Christine Roth ein. Der Prozess erfordere eben Spezialpumpen mit hohen Anforderungen an Reinheit und Säureresistenz.

Swissmem hatte schon 2023 nach der Publikation der Regulierungsvorlage daran kritisiert, dass sie nur wenige und mehrheitlich zeitlich beschränkte Ausnahmen vorsehe, die zudem nur wenige Anwendungen der Tech-Industrie beträfen. Für alle anderen Anwendungen von PFAS werde nur die kurze Übergangsfrist von achtzehn Monaten vorgeschlagen, zudem seien viele Bereiche gar nicht berücksichtigt worden.

«Das führt zu Zielkonflikten», meint Roth. Beispielsweise gerate die EU mit den PFAS-Beschränkungen in Clinch mit dem Digital Act, der zur Stärkung der Halbleiterindustrie in Europa erlassen wurde. Einerseits der industriepolitische Aufbau einer Schlüsselbranche, andererseits deren Bremsung und Behinderung durch PFAS-Einschränkungen – das seien Widersprüche. «Das würde schlimmstenfalls die Abwanderung auch von zuliefernden Firmen aus der Schweiz in Drittländer fördern», meint Christine Roth.

Überhaupt wären, so Swissmem, auffallend viele Technologien von den PFAS-Beschränkungen betroffen, die für Nachhaltigkeitsziele wie Klimaneutralität, Energieeffizienz oder Kreislaufwirtschaft wichtig seien. Die Elektrifizierung zur Erreichung der Klimaneutralität beispielsweise benötigt stabile Stromnetze, in denen Bauteile verbaut sind, die Hochspannung aushalten müssen. Auch da kämen PFAS zum Einsatz. Generell sei zu befürchten, dass die Schäden für Europas Wertschöpfungsketten gravierend sein könnten.

 

Güterabwägung

Roths Kritik ist indessen noch grundsätzlicher: Der Beschränkungsvorschlag sei sehr stark auf die Gefährlichkeit dieser Stoffe ausgerichtet. Aber nicht alle 10 000 Stoffe seien gefährlich, und auch nicht alle hätten die gleichen Auswirkungen, sowohl human- wie ökotoxikologisch. Vielmehr sollte die EU auf das Risiko fokussieren.

Was heisst das? «Wenn ein Stoff gefährlich ist, dann entsteht erst dann ein Risiko, wenn auch eine ausreichende Exposition besteht. Erst wenn dieser Stoff überhaupt Menschen oder die Umwelt belastet, entsteht ein Risiko. Das kritisieren wir auch sehr klar in unserer Stellungnahme zum Beschränkungsvorschlag, nämlich dass dieser allein auf die Gefährlichkeit ausgerichtet ist und nicht auf das tatsächliche Risiko.» Zudem wären Fluorpolymere und Fluorelastomere, die laut OECD «Polymere von geringer Besorgnis» sind, von den Beschränkungen auszunehmen.

Sollte man also klare Kosten-Nutzen-Berechnungen anstellen? Roth: «Ich glaube, Kosten-Nutzen-Analysen im Sinne präziser Zahlen sind schwierig, aber eine Güterabwägung mit Blick auf die Risiken muss man auf jeden Fall machen. Das ist unserer Ansicht nach auch die Aufgabe der Gremien, die nun zum Beschränkungsvorschlag Stellung nehmen müssen.» Dies betrifft zum einen die Risikoanalyse, zum andern die sozioökonomische Analyse.

 

EU-Ausnahmeregelungen

Christine Roth erklärt dazu: «Es ist klar, dass man problematische, gefährliche Stoffe nicht verwenden soll, aber genau deshalb sollte man genau schauen, was wirklich ein Problem darstellt. Dann würde man sehen, dass der Teflondichtungsring eben kein Problem, sondern einen hohen Nutzen darstellt.» Ein Ansatz könne sein, dass man die vorgelagerten Schritte und den nachgelagerten Entsorgungsprozess unter Kontrolle bringe, um das Risiko in den Griff zu bekommen.

Auf europäischer Ebene haben sich vor allem auch Vertretrer der deutschen Wirtschaft in der Debatte engagiert, etwa via Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von Abgeordneten der EVP-Fraktion, die in einem PFAS-Pauschalverbot «Gefahren für Wirtschaft, Gesundheit, den Klimaschutz und die Souveränität Europas» sehen. Von der Leyen antwortete laut den Angaben wie folgt: «Im Rahmen der geltenden Reach-Verordnung können Ausnahmen von Beschränkungen gewährt werden, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen und die sozioökonomischen Kosten der Beschränkung im Vergleich zur Risikominderung unverhältnismässig wären.» Auf dieser Grundlage beabsichtigte die Kommission, Ausnahmeregelungen für Verwendungen vorzuschlagen, die für den digitalen und ökologischen Wandel und die strategische Autonomie der EU erforderlich sind, solange keine tragfähigen Alternativen zur Verfügung stehen. Die Debatte dürfte somit zu einem guten Teil Ausnahmeregelungen gelten.