Dieser Text erschien zuerst auf der Online-Plattform Globalbridge.ch.
Eine deutliche Mehrheit der Bürger fürchtet gemäss einer Umfrage eine Ausweitung des Kriegs in der Ukraine auf europäisches Nato-Gebiet. Warum wird das hingenommen, als handele es sich um ein unabwendbares Naturereignis?
«Vielleicht wird es der späte Historiker noch rätselhafter finden als wir Zeitgenossen, dass, obwohl allmählich fast jedes Kind wusste, dass man vor Kriegen stand, die auch für den Sieger das entsetzlichste Leiden mit sich brachten, dennoch die Massen nicht etwa mit verzweifelter Energie alles unternahmen, um die Katastrophe abzuwenden, sondern auch noch ihre Vorbereitung durch Rüstungen, militärische Erziehung usw. ruhig geschehen liessen, ja sogar unterstützten.»
Mit diesen Worten von Erich Fromm hatte ich vor genau vierzig Jahren ein Buch über Angst – genauer: Nicht-Angst – und atomare Aufrüstung eingeleitet, das im Mai 1984 erschien. Fromm hatte diese Sätze am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, 1937, in seinem Aufsatz «Über die Ohnmacht» formuliert; das Zitat war damals also bereits 47 Jahre alt.
Warum ich nun vier Jahrzehnte später einen Essay wiederum mit diesem Zitat eröffne, das bedarf – leider! – keiner weiteren Erläuterung. Wiederum stehen wir vor Kriegen, nein: tobt im Osten Europas längst ein Krieg, der «auch für den Sieger» – falls es den überhaupt geben und was auch immer hier mit «Sieg» genau gemeint sein sollte – «das entsetzlichste Leiden» mit sich bringen wird, nein: bereits mit sich bringt. Und es sieht so aus, als hätte dieser Krieg seinen Kulminationspunkt noch gar nicht erreicht. Auf der Skala der möglichen Entsetzlichkeiten ist nach oben noch erschreckend viel Luft.
Mit anderen Worten: Dass der Krieg in der Ukraine sich nicht doch noch zu einem Flächenbrand auswächst, der ganz Europa, ja möglicherweise die gesamte Nordhalbkugel erfasst, und dass die finalen Untergangsgeräte nicht doch noch zum Einsatz kommen, falls eine Seite sich definitiv in die Ecke gedrängt fühlen sollte, das ist noch lange nicht ausgemacht.
Nur dass diese Gefahr, genau wie vor über 85 Jahren, offenbar niemanden gross zu interessieren, gar aufzuregen scheint!
Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit
Mittlerweile frage ich mich nur noch, was mich fassungsloser macht: Die Ungeniertheit, die fröhliche Unbekümmertheit und an Wahnsinn grenzende Skrupellosigkeit, mit der Politiker, Militärs und Medien hierzulande nahezu unisono im Dauerstaccato und jeden Tag schriller bis an die Schmerzgrenze eskalieren – von der Lieferung immer gefährlicherer Waffensysteme über Szenarien, «den Krieg nach Russland zu tragen und Ministerien, Hauptquartiere und Kommandoposten zu zerstören» bis zur Forderung nach westlichen «Boots on the Ground» – oder die Apathie und Schockstarre, mit der die überwältigende Mehrheit der Zeitgenossen dies alles kritik- und klaglos über sich ergehen lässt. Dabei scheint es unter der Oberfläche durchaus zu brodeln.
Erheblich mehr Menschen als auf den ersten Blick sichtbar scheint es allmählich mulmig zu werden. So äusserten Ende Februar im Rahmen einer Insa-Umfrage 61 Prozent die Befürchtung, der Ukraine-Krieg könne sich auf Nato-Gebiet ausweiten. (Gemäss der Untersuchung «World Affairs» des global operierenden demoskopischen Instituts Ipsos in dreissig Ländern auf allen Kontinenten hielten Mitte November letzten Jahres im länderübergreifenden Durchschnitt sogar 71 Prozent «eine nukleare, biologische oder chemische Attacke innerhalb der nächsten zwölf Monate für eine reale Gefahr».) Und seit langem wünscht sich eine überwältigende Mehrheit der Deutschen ein stärkeres Engagement der Bundesregierung für Friedensverhandlungen. All dies ist angesichts des medialen Dauerfeuers aus allen offiziellen Kanälen durchaus bemerkenswert. Andererseits bleibt die allgemeine unterschwellige Unruhe stumm und auf der Handlungsebene völlig folgenlos, sodass man sich fassungslos fragt, wo eigentlich der längst fällige Aufschrei bleibt.
Und auch das ist nicht neu.
«Nahezu die Hälfte unserer Bevölkerung glaubt laut Umfragen an die Möglichkeit eines Krieges. Die Leute sind betroffen, aber sie rühren sich kaum. Wie können Menschen in Passivität und zumindest äusserlicher Gelassenheit auf demoskopischen Fragebögen bejahen, dass ein grosser Krieg bevorstehen könnte? Warum reagieren wir so, als handele es sich hier um ein unbeeinflussbares Naturereignis, obwohl in dieser Angelegenheit doch alles, was geschieht, in der Macht menschlicher Berechnung und Entscheidung liegt?» Dies schrieb der 2011 verstorbene Arzt und Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter im Mai 1980 im Vorfeld der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Westeuropa. «Wir Bürger fühlen uns in einen seltsam unmündigen Zustand versetzt, der uns zugleich die Sprache verschlägt», konstatierte Richter damals in seinem «Sind wir unfähig zum Frieden?» betitelten Essay und diagnostizierte: «Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit».
Die Parallele zur aktuellen Situation springt förmlich ins Auge.
Apokalypse-Blindheit: Ablenkung und Ersatzhandlungen
Dabei verblüfft zugleich, dass «Sprachlosigkeit und stumpfe Unbeweglichkeit» jedoch bei anderen gesellschaftspolitischen Themen nicht unbedingt vorherrschen. Immerhin gingen hier in den letzten beiden Monaten Hundertausende Menschen «gegen rechts» und «für ein buntes, weltoffenes Deutschland» auf die Strasse. Vergleicht man allerdings diese Zahlen mit denen derjenigen, die bislang für ein Ende der Kampfhandlungen im Ukraine-Krieg demonstrierten, so ergibt sich ein groteskes Missverhältnis. Offenbar sind nicht nur die jungen Klimaschützer, sondern auch die überwiegende Mehrheit der Demonstranten für ein weltoffenes Deutschland blind für die Möglichkeit einer Ausweitung des Ukraine-Krieges auf Nato-Terrain – mit Gefahren bis hin zum Undenkbaren …
Und dies ist ebenfalls nicht neu. Was Horst-Eberhard Richter zu Beginn der achtziger Jahre in diesem Kontext über Initiativen gegen Kindesmisshandlungen und Tierversuche bis hin zum Kampf gegen Atomkraftwerke schrieb, gilt mutatis mutandis heute ebenso: «Niemand wird den Sinn der Initiativen bestreiten, die sich zur Abwendung solcher und anderer Gefahren aufgetan haben. Aber wenn das Gesamt dieser Initiativen am Ende zu einer Erschöpfung der Widerstandskräfte führt, von denen ein grosser Teil sich gegen die wichtigste aller Bedrohungen wenden müsste, dann liegt in der Tat ein unheilvoller Verschiebungsmechanismus vor: Man reagiert sich in der Bekämpfung von vergleichsweise greifbaren Schädlichkeiten ab, die unbewusst das bei weitem gefährlichste, aber deshalb unerträglich gewordene Angstobjekt ersetzen.» Gemeint war natürlich die durchaus reale Gefahr eines Atomkrieges in Europa, deren psychologische Auswirkungen Richter folgendermassen charakterisierte: «Das Vernichtungspotenzial, das die Atommächte bereits aufgehäuft haben, ist zu ungeheuerlich, als dass man es noch auszuhalten wagt, sich die Ausmasse vor Augen zu halten. Es gibt Wahrheiten, die so entsetzlich sind, dass man alle Anstrengungen daran wendet, sie zu verdrängen bzw. zu verharmlosen.»
Wie heute.
Und zu dieser Verharmlosung gehört auch ein dem Wunderglauben ähnliches magisches Hoffen auf automatische Veränderungen. Horst-Eberhard Richter: «Je weniger man selbst das System beeinflussen kann, in das man eingeordnet und von dem das Tun in erheblichem Masse bestimmt wird, umso mehr möchte man darauf bauen, dass das gute Gewissen in dem System selbst steckt. Man versucht alles Mögliche, um diese Überzeugungen gegen gegenteilige Erfahrungen zu verteidigen, und konsumiert deshalb dankbar eine entsprechende Propaganda des Systems. Man belügt sich, aber man kann damit besser schlafen.»
Der Philosoph Günther Anders, der wie kein anderer sich mit der Gefahr einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit auseinandergesetzt hat, nannte diesen Mechanismus «Apokalypse-Blindheit».
Mut zur Angst
Es geht darum, die Angst wieder zu lernen, den, wie Günther Anders vor 65 Jahren in seinen «Thesen zum Atomzeitalter» schrieb, «Mut zur Angst» wieder aufzubringen: «Was zu klein ist und was dem Ausmass der Bedrohung nicht entspricht, ist das Ausmass unserer Angst. Habe keine Angst vor der Angst, habe Mut zur Angst. Auch den Mut, Angst zu machen. Ängstige deinen Nachbarn wie dich selbst.» Und Anders fuhr fort: «Freilich muss diese unsere Angst eine von ganz besonderer Art sein: 1. Eine furchtlose Angst, da sie jede Furcht vor denen, die uns als Angsthasen verhöhnen könnten, ausschliesst. 2. Eine belebende Angst, da sie uns statt in die Stubenecken hinein in die Strassen hinaustreiben soll. 3. Eine liebende Angst, die sich um die Welt ängstigen soll, nicht nur vor dem, was uns zustossen könnte.»
Sich der Angst stellen und diese produktiv umzusetzen, würde für jede/-n Einzelne/-n von uns hier und jetzt bedeuten, sich mit allem gebotenen Ernst Folgendes, und zwar nicht nur auf der Ebene der Ratio, sondern – viel wichtiger – auch des Gemüts, bewusst zu machen: Jawohl, es ist brandgefährlich! Und wenn wir jetzt nicht handeln, wenn ich jetzt nicht handele, wird die Wahrscheinlichkeit, dass das Undenkbare eintritt, mit jedem Tag grösser. Oder um einen über 200 Jahre alten «kategorischen Imperativ» Heinrich von Kleists zu paraphrasieren: «Handele so, als ob das Schicksal einer weiteren Eskalation des Krieges allein von dir abhinge!» (Dies würde im Übrigen auch dem Friedensgebot unseres Grundgesetzes entsprechen, das, wie der verstorbene Botschafter a. D. und Genscher-Vertraute Frank Elbe schrieb, «eine unmittelbar bindende Vorschrift unserer Verfassung ist: Sie verpflichtet jedermann – staatliche Organe wie auch jeden Bürger».)
Hören wir ein letztes Mal Horst-Eberhard Richter: «Die Bedrohung lässt sich überhaupt nur bewusst ertragen, indem man praktisch dagegen ankämpft.» Und schauen wir uns die aktuellen Bedingungen des «praktischen Dagegen-Ankämpfens» illusionslos an: Die Lage ist dramatisch. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ist in Sprachlosigkeit und Unbeweglichkeit gelähmt, die junge Generation der Klimaschützer auf dem rüstungspolitischen Auge blind, und das, was unter dem Etikett «Friedensbewegung» heute noch aktiv ist, ist überwiegend marginalisiert, vergreist und im Ritualismus erstarrt. Es sieht so aus, als müssten wir alle noch mal ganz von vorne anfangen.
Und hoffentlich bleibt uns noch genügend Zeit!
PS: Die Diagnosen und Warnungen Horst-Eberhard Richters vom Mai 1980 blieben übrigens nicht ungehört. Im Februar 1981 ging der Stern ein grosses Risiko ein, als er unter dem Titel «Die grösste Atomwaffendichte der Welt» eine Karte der alten Bundesrepublik mit den Standorten der dort gelagerten 6000 Atomsprengköpfe veröffentlichte. Nun konnte jeder, der es wissen wollte, nachprüfen, wie viele potenzielle «Hiroshimas» in seiner unmittelbaren Nachbarschaft schon gelagert waren. Und am 10. Oktober desselben Jahres demonstrierten bereits 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung amerikanischer atomar bestückter Mittelstreckenraketen. Zwei Jahre später, im Herbst 1983, waren es über eine Million.
Die Friedensbewegung konnte damals die Stationierung nicht verhindern, aber Jahre später schrieb ein gewisser Michail Sergejewitsch Gorbatschow: «Ich erinnere mich gut an die lautstarke Stimme der Friedensbewegung gegen Krieg und Atomwaffen in den 1980er Jahren. Diese Stimme wurde gehört!»
So lange der Kriegsverursacher USA und seine Helfer Nato nicht einsehen, dass ihr 4. Reich gescheitert ist, wird es wie beim 3. Reich Richtung totaler Krieg laufen. Wahrscheinlich muss es so sein, dass die Menschheit ausgelöscht wird für die Natur und das Klima ist das sicher kein Verlust.
Sehr einfach, weil sich auf den Straßen niemand rührt! Man demonstriert lieber gegen vermeintlich Rechts als gegen Weltkrieg III!
Faktenhüter 18. März 2024 um 12:36 Uhr: Welche Fakten Sie auch immer hüten, sind es wirklich Fakten? Was Sie da in russischen Gazetten lesen, habe ich so nirgendwo gefunden. Könnte es sein, dass Sie den Unfug, den Sie hier zu Papier bringen, selber nicht glauben? Wer sich mit dem Ukraine-Krieg seit Maidan (2014) bis heute (2024) auseinander setzt, kommt zwangsläufig zu dem Schluss, dass Ihre Worte eher den Wunsch denn den Vater des Gedankens ausdrücken. Weniger zu schreiben ist mitunter mehr!