In einem Tamedia-Interview wird Ignazio Cassis gefragt, was er als Bundesrat noch erreichen möchte. Seine umwerfende Antwort lautet: «Mein grösstes Ziel ist es, dem Bundesrat die Aussenpolitik näherzubringen.» Was im Klartext heisst: Meine zurückgebliebenen Kollegen haben im Gegensatz zu mir keine Ahnung, was in der grossen, weiten Welt passiert. Sie sind demnach auf die Belehrungen von Schulmeister Cassis als ebenso geduldigen wie kenntnisreichen Fachexperten angewiesen.

Eine solche Aussage hat mit dem vielbeschworenen Kollegialitätsprinzip wenig zu tun. Aussenpolitik ist Sache des Gesamtbundesrates. Wenn Cassis findet, er sei von sechs aussenpolitischen Banausen umgeben, sollte er dies wenigstens für sich behalten. Und den Beweis, dass ausgerechnet er diesbezüglich zum ultimativen Lehrmeister taugt, hat der Tessiner bislang auch noch nicht geliefert.

Es ist ja schön und gut, wenn Cassis findet, die Schweiz müsse «beweisen, dass sie neutral ist». Nur hat gerade der FDP-Mann bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs mit seiner öffentlichen Selenskyj-Verbrüderung und anschliessender Übernahme aller EU-Sanktionsmassnahmen gegen Russland das pure Gegenteil getan.

Warum er das neue institutionelle Abkommen mit der EU nicht einfach «Bilaterale III» nenne, wird Cassis weiter gefragt. Seine Antwort: Das «Paket» trage den Namen «Stabilisierung und Weiterentwicklung des bilateralen Wegs».

Wenn schon bei den Bezeichnungen gegaunert wird, kann nichts Gutes herauskommen. Denn erstens ist das Abkommen kein «Paket» mehr; der Bundesrat hat es entgegen der Absicht von Cassis in vier verschiedene Teile zerlegt. Und seit wann spricht man von Stabilisierung, wenn eine Partei – nämlich die EU – ihre Forderungen jederzeit verändern und durchsetzen kann? Es geht auch nicht um eine «Weiterentwicklung» des bilateralen Weges, weil die EU genau diesen Weg mittels neuen Abkommen verlassen will.

Ehrlich auf den Punkt bringt dies Felix E. Müller, ehemaliger Chef der NZZ am Sonntag, in der Schweiz am Sonntag. Seit 2008 kämen für die EU weitere Abkommen nur infrage, «wenn vorher das Institutionelle mittels eines Rahmenabkommens geklärt würde». Und Müller zitierte die Erklärung des EU-Ministerrats: «Ein solches Abkommen sollte auch die Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstands aller Abkommen sowie einen Mechanismus beinhalten, mit dem die regelmässige Aktualisierung und einheitliche Auslegung dieser Abkommen gewährleistet wird.»

Von einem bilateralen Weg unter Gleichberechtigten auf Augenhöhe kann beim neuen Abkommen keine Rede sein. Daran ändert auch nichts, wenn Ignazio Cassis seine Rolle im Bundesrat als die eines Lehrmeisters beurteilt.