Im Chor der Tucker-Carlson-Kritiker hebt sich eine Stimme ab: jene von Boris Johnson.

Der ehemalige britische Premier zieht vom Leder, als gäbe es kein Morgen.

Carlson sei ein «Handlanger des Tyrannen, das Diktafon des Diktators und ein Verräter am Journalismus» schreibt er in der Daily Mail.

«In seiner kriecherischen, schlaffen Freude über einen ‹Knüller›» habe er seine Zuschauer und Zuhörer «in aller Welt verraten».

«Keine harten Fragen» habe Carlson gestellt. «Er hat Putin nicht gefragt, warum er auch jetzt noch die brutalsten Mittel der modernen Kriegsführung einsetzt, um unschuldige ukrainische Zivilisten zu verstümmeln und zu ermorden.»

«Nicht ein einziges Mal» habe Carlson versucht, «den Strom der Lügen von Putin einzudämmen».

Stattdessen habe er Putins Geschichts-Monolog freien Lauf gelassen, einer «Mischung aus halbgekautem Wikipedia und unverhohlenen Unwahrheiten des russischen Führers – wie etwa die bizarre (und bedrohliche) Behauptung, Polen sei irgendwie für seine eigene Teilung und Zerstörung im Jahr 1939 verantwortlich gewesen – als ob Russland keinen Anteil am Molotow-Ribbentrop-Pakt gehabt hätte».

Dass Johnson ein in der Wolle gefärbter Transatlantiker ist, hat er bereits im Interview mit der Weltwoche dargelegt: «Das strategische Hauptziel eines britischen Premierministers sollte Sicherung und Support für die Nato sein», sagte er, kurz bevor er sich auf seine historische Brexit-Mission begab und Grossbritannien aus der EU führte.

Johnsons Stimme ist nach dem Putin-Interview besonders interessant.

Der russische Präsident hat ihn frontal angegriffen: Boris Johnson habe als britischer Premier vor achtzehn Monaten mit Duldung von US-Präsident Biden – oder in dessen Auftrag (?) – einen Friedensschluss sabotiert.

Man habe damals in Istanbul ein Friedensabkommen unterschriftsreif vorbereitet. Dann habe Johnson alles zerstört.

«Wir waren bereit, dieses Dokument zu unterzeichnen, aber Herr Johnson, der damalige Premierminister, kam und riet davon ab und sagte, es sei besser, Russland zu bekämpfen.»

Würde längst Frieden herrschen, hätte «Kriegsgurgel» Johnson nicht interveniert?

Carlson hat es unterlassen, hier bei Putin nachzuhaken.

Und was sagt er Angeschuldigte dazu?

In seiner Tirade äussert Johnson zu dem heftigen Vorwurf kein Sterbenswörtchen.

Er setzt Putin gleich mit Hitler. Will heissen: Diesem Mann könne man kein Wort glauben:

«Wie Hitler lügt er.» Schliesslich habe er auch bei seiner Absicht, in die Ukraine einzumarschieren, unverhohlen gelogen.

Und er zitiert ein direktes Gespräch mit Putin: «Er sagte der Welt und mir persönlich, dass er nicht in die Ukraine einmarschieren würde, nur wenige Wochen bevor er den Befehl zum Anrollen der Panzer gab.»

Sabotage hin oder her. Von einem Friedensschluss – zu dem sich Putin im Interview unter Beibehaltung der eroberten Gebiete in der Ukraine bereit erklärte – will Johnson auch heute nichts wissen: «Warum um alles in der Welt sollte man ihm (Putin) jetzt zutrauen, dass er sich an ein Friedensabkommen hält – selbst wenn die Ukrainer versuchen würden, ein solches zu schliessen?»