Nach dem zweiten Wahlgang in Frankreich berichtete die Süddeutsche Zeitung, die «Brandmauer» habe gehalten. Der Tages-Anzeiger berichtete, die «Brandmauer» habe gehalten. Die NZZ berichtete, die «Brandmauer» habe gehalten.

Alle berichteten das Gleiche, alle mit demselben Begriff. Das ist natürlich kein Zufall. Die Franzosen selbst sprachen von einer «neuen Volksfront», um das Päckchen von Mitte und Linken zu beschreiben, das Marine Le Pens Rassemblement National (RN) ausbremste.

«Brandmauer» kommt aus der deutschen Politrhetorik und meint, dass die Altparteien unter keinen Umständen mit der Alternative für Deutschland (AfD) zusammenarbeiten oder koalieren und dass sie alles tun, den unerwünschten Eindringling von der Party auszuschliessen und ihn am Katzentisch aushungern zu lassen.

Wer «Brandmauer» sagt, impliziert überlaut, dass da eine un- und ausserdemokratische Gefahr drohe, die bei einer Regierungsbeteiligung – auf welcher Ebene auch immer – zu einem Inferno der (bundes-)republikanischen Institutionen führen würde.

Das ist offensichtlich ein kolossaler Mumpitz. Sowohl AfD als auch RN sind in vielen Kommunen wie auch im nationalen und im europäischen Parlament vertreten, ohne dass die Kommunen und die Parlamente abgebrannt wären. Sie würden auch nicht abbrennen, wenn diese Parteien einst den Kanzler oder den Premierminister stellten.

«Brandmauer» ist, seiner Propaganda-Wirkung entkleidet, ein politischer Kampfbegriff, der dem Machterhalt der etablierten Parteien dient und dazu, den Gegner zu diffamieren, ohne sich mit den Inhalten seiner Politik auseinandersetzen zu müssen.

«Brandmauer» ist das Lieblingswort von Heuchlern vor dem Herrn, die vorgeben, die Demokratie retten zu wollen, während ihnen gerade die demokratische Opposition ein Dorn im Auge ist.

«Brandmauer» ist ein Ausdruck der Arroganz der Macht und der Verachtung des Volks.

«Brandmauer» ist das Unwort des Jahres.