Am 28. Februar kommunizierte der Bundesrat, die Sanktionen der EU gegen Moskau zu übernehmen. In ihrer Rede verkündete Irène Kälin den Bruch mit der Neutralitätspolitik. Die Nationalratspräsidentin sagte: «Neutralität bedeutet nicht, zu schweigen, sondern für Frieden und Menschenrechte einzustehen.» Wer sich hinter der Neutralität verstecke, stehe «auf der falschen Seite der Geschichte».
Die hehren Worte hallten bis über den Atlantik. Unbemerkt von der Öffentlichkeit und den meisten Ratsmitgliedern sass an diesem Nachmittag auch der amerikanische Botschafter Scott Miller auf der Besuchertribüne des Nationalrats und lauschte Kälins Ausführungen.
Miller war zu diesem Zeitpunkt erst seit einem Monat in Bern tätig. Der Meinungsumschwung seines Gastlandes war für ihn ein Triumph auf der ganzen Linie.
Noch vier Tage zuvor hatte Bundespräsident Cassis ihm erklärt, die Schweiz werde die Sanktionen nicht übernehmen. Der Bundesrat werde aber sicherstellen, dass die Strafmassnahmen nicht via Schweiz umgangen würden. Ziel sei es, dass die Eidgenossenschaft eine diplomatische Vermittlerrolle spielen könne.
Diese Position, die im Einklang mit der Neutralität der Schweiz stand, missfiel den Amerikanern. Und weil sie im gegenwärtigen Bundesrat einen schwachen Verteidiger schweizerischer Interessen zu erkennen glaubten, zogen Miller und seine Leute ein Powerplay auf.
Er gehe die Schweiz «auf höchster Ebene an, um sie zu ermutigen, sich der gemeinsamen Reaktion mit den Partnern anzuschliessen», säuselte der Botschafter öffentlich. Zur gleichen Zeit telefonierte die amerikanische Vize-Aussenministerin Wendy R. Sherman mit Cassis’ Chefdiplomatin Livia Leu und sprach Klartext. Man erwarte, dass der Bundesrat bei den Sanktionen gegen Russland mitmache. Dieser Wunsch eines befreundeten Staats kam im Ton eines Befehls daher. Für den Fall, dass sich Bern weigern sollte, die Direktiven aus Washington umzusetzen, wurden Retorsionsmassnahmen angedroht, vor allem gegen die Schweizer Banken.
Der Druck wirkte, der Bundesrat knickte ein. Was der US-Präsident Joe Biden in der Folge in seiner Rede verkündete und welche Forderungen die Amerikaner sonst noch an die Schweiz richten, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Weltwoche.
Wer solche "Freunde" wie die linke US Administration hat, der braucht keine Feinde mehr.