Der Vorgang ist vermutlich beispiellos: Alt Bundesrat Ueli Maurer, der in seiner Amtszeit die Schweizer Corona-Politik mitverantwortet hat, fordert in seinem Essay für die Weltwoche eine Aufarbeitung der Seuchenzeit. Er dürfte damit international der erste Politiker sein, der die eigenen Massnahmen selbstkritisch untersucht sehen will. Es brauche dafür mehr als eine parlamentarische Kommission – «es braucht den Mut und den Willen für eine ehrliche, pragmatische Analyse mit einer gehörigen Portion Demut und Respekt gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und gegenüber den Eckpfeilern unseres Staates», schreibt Maurer. Seite 10
Zum «Tag des Gedenkens, der Wahrheit und der Gerechtigkeit» in Argentinien wagt Präsident Javier Milei einen Tabubruch: Nicht 30.000 Menschen seien während der letzten Militärdiktatur (1976–1983) umgebracht worden, behauptete er, sondern 8961. Und: Man müsse auch der 1094 Todesopfer des marxistischen Guerillaterrors gedenken. Hinter dem Zahlenstreit verbirgt sich ein erbitterter Kulturkampf um die Hoheit über die Geschichtsschreibung, der in ganz Lateinamerika schwelt. Südamerika-Korrespondent Alex Baur bringt Licht in eine vom Kalten Krieg geprägte Epoche des Grauens. Seite 20
Der Berner Arzt Claude Vaney gehört zu den bedeutendsten Spezialisten bei der Behandlung von multipler Sklerose. Er beschreibt aufgrund eigener Erfahrungen in Forschung und Praxis, wie er Cannabis als wirksame Therapie gegen Muskelkrämpfe untersucht, erprobt und angewandt hat. Das Dilemma besteht darin, dass man Patienten eine wirksame Therapie nicht vorenthalten darf, aber dennoch alle Medikamente bezüglich ihrer Wirksamkeit überprüfen muss. Auch medizinisches Cannabis muss – wie jedes andere natürliche oder synthetische Medikament – die strengen Arzneimittelprüfungen durchlaufen. Dies, ohne den Bonus eines jahrtausendealten, bewährten Bestandteils der traditionellen Medizin zu beanspruchen. Seite 24
Der vor 300 Jahren in Königsberg geborene Immanuel Kant, der grosse Philosoph der Aufklärung, geniesst wenig Sympathie bei den Anwälten des aktuellen Zeitgeistes. Zu rigoros hat er die Pflicht ins Zentrum seiner Philosophie gestellt, zu beharrlich hat er die Selbstverantwortlichkeit des Einzelnen gefordert. Aber gerade darum sind seine Gedanken aktuell. Er wusste: «Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.» Und dass der Staat die Freiheit, nicht das Glück seiner Bürger fördern müsse, war die Prämisse seiner Staatstheorie. Peter J. Brenner, emeritierter Kölner Professor für Neuere deutsche Literaturgeschichte, legt in seinem Essay dar, welch tiefgreifende Folgen Kants Denken bis heute gehabt hat. Seite 33
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