Angela Merkels Aussagen zum Sinn und Zweck der Minsker Abkommen 2014/2015 haben manchem in Russland die Augen geöffnet.

Zu keiner Zeit habe der Westen Russland als Verhandlungspartner ernst genommen, kommentiert die Moskauer Nachrichtenagentur Tass das jüngste Zeit-Interview der Altbundeskanzlerin. Ein Satz wie «Es war uns allen klar, dass das ein eingefrorener Konflikt war, dass das Problem nicht gelöst war, aber genau das hat der Ukraine wertvolle Zeit gegeben» kann in Russland nur so verstanden werden, als habe der Westen überhaupt nicht an eine friedliche Lösung des Konflikts geglaubt.

Das staatliche Nachrichtenportal Westi erinnert an zwei Aussagen Angela Merkels vor sieben Jahren: Der Ausweg aus der Krise liege «in der strikten Einhaltung der Minsker Vereinbarungen» und – im Weissen Haus neben US-Präsident Barack Obama –: «Ich habe immer gesagt: Es gibt keine militärische Lösung des Ukraine-Konflikts. Wir müssen alles tun, um eine diplomatische Lösung zu finden.»

Und jetzt, nach ihrer Pensionierung, gebe Merkel zu, dass der Westen die Erfüllung der Minsker Verpflichtungen gar nicht erwartet habe.

Das sitzt.

Der Westi-Kommentator beklagt, die «ganze Geschichte» zeige zum wiederholten Mal, was «die westliche Diplomatie und die Worte einzelner europäischer Führer» wert seien. Er geht so weit, die Doppelzüngigkeit zum Markenzeichen von Merkels Karriere zu machen. Sie sei schon dem «legendären Kanzler, dem Vater der deutschen Einheit Helmut Kohl» in den Rücken gefallen und habe sich so die Macht gesichert. Kohl habe an «mein Mädchen» später nur «mit Schaudern» denken können. «Dame ohne Charakter» habe er sie genannt (ein bekannter Topos aus dem Rechtsstreit Kohl vs. Schwan), bei deren Anblick man sich nur bekreuzigen möchte.

Fazit: So wie der Westen dem Perestroika-Russen Michail Gorbatschow nachtrauert, so tut es der russische Gegner dem grossen Russland-Versteher Helmut Kohl.

Im 20. Jahrhundert war eben alles noch ganz einfach.