Kein Geld, keine Waffen, keine Soldaten, keine Moral. Dafür wachsende Zweifel und ein zunehmend isolierter Präsident. So deprimierend zeichnet das US-Magazin Time in einer Titelstory – Unterzeile: «Der einsame Kampf des Wolodymyr Selenskyj» – die Lage in der Ukraine zwanzig Monate nach Kriegsausbruch. Der Reporter begleitete Wolodymyr Selenskyj auf seiner jüngsten USA-Reise und sprach mit ihm und engen Mitarbeitern in Kiew.

Am meisten beängstige den Staatschef die schwindende Aufmerksamkeit, die der Ukraine-Krieg im Ausland erfahre – vor allem seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hamas. «Es macht Angst, dass ein Teil der Welt sich an den Krieg in der Ukraine gewöhnt hat», sagte Selenskyj. «Man sieht es in den Vereinigten Staaten, in Europa.» Sobald sie der Sache ein wenig müde werden, wird es wie eine Show für sie: «Ich kann diese Wiederholung nicht zum zehnten Mal ansehen.»

Seine eigenen Siegeszuversicht sei ungebrochen, aber sie auch den Verbündeten zu vermitteln, «nimmt all deine Kraft, deine Energie», erklärte der Präsident. Ein Vertrauter enthüllte, dass Selenskyj sich von seinen Alliierten verraten fühle. Er sei überzeugt, dass sie ihm nur die Mittel gegeben hätten, den Krieg durchzustehen, nicht, ihn zu gewinnen.

Mitarbeiter hätten denn auch eine Veränderung im Charakter von Selenskyj wahrgenommen. Sein «funkelnder Optimismus, sein Sinn für Humor» seien verflogen. «Jetzt kommt er rein, lässt sich briefen, gibt Befehle und geht wieder», beschrieb einer seiner Mitarbeiter den Arbeitsalltag.

Viele von ihnen äusserten sich besorgt darüber, dass er eine Art Bunkermentalität entwickele. Sein Glaube an einen ukrainischen Endsieg über Russland habe sich derart verhärtet, dass es an Messianismus grenze. «Er macht sich etwas vor», zitiert Time einen seiner engsten Vertrauten. «Wir haben keine Optionen mehr. Wir gewinnen nicht. Aber versuchen sie mal, ihm das zu sagen.» Absolut Tabuthema sei das Verbot von jeglichen Verhandlungen mit Moskau, das Selenskyj verhängt hatte. Darin unterstützt ihn offensichtlich eine Mehrheit der Bürger, doch in der Truppe bröckelt die Moral. Einige Front-Kommandeure verweigerten Befehle, selbst wenn sie direkt aus der Präsidialkanzlei kämen. «Sie wollen nur in den Schützengräben sitzen und die Linien halten», erklärte der Vertraute. Die Offiziere wiesen darauf hin, dass es ihnen für Offensiven an Männern und Material mangele.

Die Zahl der ukrainischen Gefallenen ist ein Staatsgeheimnis. Westliche Dienste beziffern sie auf mindestens 100.000. Es wird immer schwieriger, neue Soldaten zu rekrutieren. Das Einberufungsalter wurde mittlerweile auf 46 Jahre angehoben. Doch diese Männer seien weder gesund noch fit.