Dieser Beitrag der Weltwoche-Kolumnistin Anabel Schunke erschien zuerst in der Wochen-Zeitung Junge Freiheit. Die Redaktion.
Es tobt mal wieder ein Krieg auf Twitter. Nicht wie sonst um den richtigen Umgang mit der Migration nach Europa oder klimapolitischen Massnahmen der Ampel-Koalition, sondern um eine Band. Genauer genommen um ihren Frontmann und seine mutmasslichen Praktiken im Umgang mit jungen Frauen.
Till Lindemann, Frontmann einer der bekanntesten deutschen Bands, Rammstein, steht im Verdacht, dass er systematisch junge Frauen für seine mutmasslich gewalttätigen Sex-Praktiken rekrutieren liess. Ausgangspunkt der Debatte bildet ein kürzlich gepostetes Video auf Instagram einer Frau namens Shelby Lynn. Die Irin war zum Tourauftakt der Rockband nach Vilnius in Litauen gereist. Dort nahm sie an einer sogenannten Pre-Party vor dem Konzert teil, zu der sie zuvor eingeladen worden war. In ihrem Video schildert sie, dass der Sänger Sex mit ihr hätte haben wollen. Als Lynn ablehnte, soll er wütend geworden sein.
Am Tag darauf habe sich die junge Frau ihren Schilderungen zur Folge mehrmals übergeben müssen und nicht aufstehen können, was sie verwunderte, da sie am Abend zuvor nur zwei alkoholische Getränke und einen Tequila-Shot von Lindemann getrunken hätte. Rettungsdienst und Polizei wurden eingeschaltet. Ein Drogentest fiel negativ aus – ein Umstand, der nicht unbedingt etwas aussagt. So sind insbesondere Substanzen wie GHB und Liquid Ecstasy, die man in sogenannten K.O.-Tropfen findet, nur wenige Stunden nachweisbar. Auf dem Video ebenfalls zu sehen: Blaue Flecken und grosse Hämatome am ganzen Körper. Wie diese entstanden sind, wisse sie nicht. Eine Vergewaltigung unterstellt sie Lindemann, entgegen vieler Behauptungen, nicht.
Der Fall erhält zusätzliche Brisanz als die Content Creatorin Kayla Shyx in einem Video auf YouTube von ihren Erfahrungen im Rahmen einer Rammstein-Aftershowparty berichtet. Die heute 21-Jährige sei vor rund einem Jahr während eines Rammstein-Konzertes angesprochen und zusammen mit ihrer 18-jährigen Begleiterin auf eine Aftershow-Party eingeladen worden. Mehrmals sei ihr von Lindemanns Casting-Direktorin, Alena Makeeva, versichert worden, dass es nicht um Sex ginge. Detailliert schildert die Frau, der auf YouTube schon zuvor über 700.000 Menschen folgten, das «System Lindemann». So gäbe es zwei Aftershow-Parties. Eine reguläre, an der auch prominente Schauspieler und andere Personen rund um die Band teilnähmen und eine, die mehr oder weniger aus einem Raum mit einer Couch bestünde, in dem die jungen Frauen auf Lindemann warten würden.
Während der Wartezeit seien der von der Situation verunsicherten jungen Frau immer wieder Drinks von der Russin Makeeva angeboten worden, die sie jedoch ablehnte. Andere junge Frauen, die bereits auf der Pre-Party gewesen sein sollen, wirkten, gemäss der Schilderungen der Youtuberin, abwesend und teilnahmslos. Eine der Frauen berichtete ihr davon, dass immer eine der jungen Frauen ausgewählt werden würde, um schon während des Konzerts in einer Pause zwischen zwei Songs Sex mit Lindemann zu haben oder ihn oral zu befriedigen. Eine Praktik, die sich mit den Schilderungen vieler anderer Frauen, die zum Teil anonym im Netz ihre Erfahrungen teilten, deckt. Lindemann tauchte an diesem Abend nicht mehr auf. Stattdessen sollten alle Frauen in sein Hotel gebracht werden, so Shyx weiter. Da ihr die Situation zunehmend komisch erschien, zog sie an dieser Stelle die Reissleine und verliess mit ihrer Freundin das Geschehen.
Nun könnte man meinen, dass bei solch einem Thema keine zwei Meinungen existieren. Es gilt die Unschuldsvermutung für Lindemann. Aber es gilt auch, den Vorwürfen nachzugehen und die Aussagen der jungen Frauen ernst zu nehmen. Und dennoch zeigt sich auch in dieser Debatte der tiefe Riss, der mittlerweile durch diese Gesellschaft geht und dafür sorgt, dass alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, in einem politischen Grabenkampf zwischen Links und Rechts endet.
Dabei ist es nachvollziehbar, dass man sich Rechts der Mitte über die vorherrschende Doppelmoral von Links aufregt. Sexuelle Übergriffe durch Zuwanderer auf Frauen, wie sie seit 2015 vermehrt und auch jetzt wieder in den Freibädern stattfinden, sind in der linken Bubble noch nie ein grosses Thema gewesen. Gegenmassnahmen, um den Alltag von Frauen wieder sicherer zu gestalten, gibt es von Seiten der Regierenden keine. Dafür immer mehr Zuwanderung, bei immer weniger infrastrukturellen Kapazitäten. Währenddessen folgt der Vorschlag der grünen Familienministerin, Sicherheitszonen auf Konzerten für Frauen einzurichten, prompt.
Lindemann deshalb zum blossen Opfer einer linken Hetzkampagne zu machen, die jedweder Grundlage entbehrt, ist jedoch ein Schuss ins eigene Knie und nicht weniger von eben jener Doppelmoral geprägt, die man dem linken Lager zurecht vorwirft. Wer die beinahe täglich erfolgenden Übergriffe durch Migranten auf junge Frauen anprangert, wer sich im Namen von Selbstbestimmung und Frauenrechten gegen das Kopftuch stark macht, sollte im Sinne der eigenen Glaubwürdigkeit in der Causa Lindemann nicht plötzlich das Verharmlosen beginnen und so den Eindruck nähren, dass sexueller Missbrauch für das konservative Spektrum nur dann Relevanz genießt, wenn er von einem Asylbewerber ausgeht.
Ja, man muss sich schon über die Kommentare einiger, insbesondere konservativer Stimmen wundern. Ein Foto von Kayla Shix wird hierbei besonders häufig geteilt. Es zeigt die junge Frau eine Woche nach besagtem Rammstein-Konzert in lasziver Pose. «So präsentiert sich die angeblich traumatisierte Influencerin Kayla Shyx…», witzelt AfD-Mann Thomas Hartung auf Facebook und erntet dafür viel Zustimmung. Als ob es einen Dresscode für Missbrauchsopfer gäbe und als hätte Shyx jemals überhaupt behauptet, eines zu sein.
Es sind überwiegend Männer, aber auch nicht wenige Frauen, die sich hinter ihrem Verweis auf die Unschuldsvermutung verkriechen und doch ganz klar mit ihren Aussagen auf einer Seite stehen: Der von Till Lindemann, der es doch gar nicht nötig hätte, weil sie sich ihm alle auch so an den Hals werfen würden.
In diesem Kosmos ist jede Frau so lange eine fame-geile Schlampe, die sich auf Kosten des erfolgreichen Mannes bereichern will, bis das Gegenteil bewiesen ist. Die Unschuldsvermutung, die bei Lindemann so sehr betont wird, gilt nicht für sie. Und wenn sie nicht berechnend ist, dann ist sie zumindest dumm oder naiv. Schliesslich wüsste ja jeder, worum es bei solchen Aftershowparties ginge. Aber auch Dummheit oder Naivität stellen keine hinreichende Rechtfertigung für das Ausnutzen selbiger dar.
Wer so argumentiert, verteidigt nicht die Unschuldsvermutung oder den Rechtsstaat. Er normalisiert Täterverhalten und erwartet Rechtfertigungen von Opfern. Wer glaubt, ein laszives Foto oder Outfit legitimiere auch nur irgendwas, befindet sich in bester gedanklicher Gesellschaft zu einem Vergewaltiger.
Ich halte nichts von der Verabsolutierung einer einzigen Moral, wie oft von Links vorangetrieben, aber ich glaube, dass ein Minimalkonsens in Sachen Moral wichtig für die Stabilität einer Gesellschaft ist. Dieses Minimalkonsens vermisse ich in einer Debatte, in der das systematische Herankarren von blutjungen Frauen für einen 60-jährigen Mann zu einer blossen Geschichte über Sex, Drugs and Rock’n’Roll verklärt wird. Wer die gebotene Ernsthaftigkeit einer solchen Debatte dem linken Spektrum überlässt und selbst nur Hohn und Verachtung für die tatsächlichen oder vermeintlichen Opfer übrig hat, braucht sich jedenfalls nicht wundern, warum es speziell konservative Parteien noch immer schwer bei Frauen haben.
Nein, hier geht es schon lange nicht mehr um politische Lager. Hier geht es ganz grundsätzlich um das Bild, das wir von Frauen und auch Männern in dieser Gesellschaft haben. Und das ist nach allem, was ich von vielen aus meinem eigenen politischen Lager gelesen habe, ein äußerst fragwürdiges.
Es fällt oft schwer, politische Schizophrenie abzugrenzen von Heuchelei, Scheinheiligkeit, Verlogenheit. Wer unzureichende Argumente und unzureichende Beweise hat, der führt heutzutage oft gerne eine Art Theater-Schauspiel von Empörtheit auf. Und er erhält dann meist sogleich die Aufmerksamkeit und die Sympathie und die Fürsprache der etablierten Leitmedien.
Personen weiblichen Geschlechts die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nennt man nicht Mädchen, sondern Frauen. Und die Vorläufer der feministischen Fraktion der Grünen haben sich unter Berufung auf die Weisheit der Frauen und auf deren Anspruch auf Gleichberechtigung nicht nur für das Frauenwahlrecht stark gemacht, sondern fordern sogar das Wahlrecht ab 16, weil Mädchen bereits dann klug und reif und weise genug wäre, über das Schicksal der Nation mitzubestimmen. T. sagt: Oh, what a hypocrisy!
Die junge Frau auf dem Foto hält ein Schild in die Kamera, auf dem geschrieben steht "Till Täter". Was soll man davon halten? Ist es eine bloß unbedacht leichtfertige Vorveurteilung? Oder handelt es sich eher um eine derjenigen Frauen, welche Sarah Wagenknecht als "selbstgerecht" beschreibt? Till Lindeman verhält sich nicht politisch korrekt, und daher sehen viele "politisch Korrekte" in ihm wohl eine Art Dämon, bzw. etwas Böses, das / der für Alles mögliche verantwortlich und schuldig sein soll