Die NZZ und andere Medien berichteten in der vergangenen Woche voller Erstaunen, dass der deutsche Verfassungsschutz Hunderte von unechten Accounts betreibt, um in sozialen Medien Rechtsextremisten auszuspionieren. Dabei würden die Mitarbeiter des Geheimdienstes mit Legendennamen arbeiten und auch Straftaten wie Volksverhetzungen begehen, um Zugang zu den geschlossenen Gruppen in sozialen Netzwerken zu erhalten.
Für jeden, der sich ein wenig mit Geheimdiensten beschäftigt, ist das weder erstaunlich, noch ist es eine Neuigkeit.
Denn die Geheimdienste machen im virtuellen Raum natürlich auch das, was sie in der Realwelt machen: Informationen über Extremisten und Terroristen sammeln und auswerten.
Wenn sich in der Realwelt Extremisten treffen und Pläne schmieden, darf der Verfassungsschutz natürlich auch mit Quellen, also V-Leuten oder verdeckten Ermittlern, dabei sein, und er darf mitunter auch bestimmte Straftaten begehen, um in der Szene akzeptiert zu werden und nicht aufzufallen. Und das Gleiche gilt auch für den virtuellen Raum, in den sich mehr und mehr die Aktivitäten von Extremisten verlagert haben.
Diese Praxis des Verfassungsschutzes ist zwar keine Neuigkeit oder Nachricht wert, allerdings ist es wichtig, sich der Gefahren und Probleme, die damit verbunden sind, bewusst zu sein und sie öffentlich zu diskutieren.
Eine Gefahr besteht darin, dass die Akteure des Verfassungsschutzes sich möglicherweise nicht an die engen Grenzen ihrer Befugnisse halten. Sie dürfen Informationen abschöpfen, sie dürfen in sozialen Netzwerken chatten, aber sie dürfen andere nicht radikalisieren oder gar zu Straftaten anstiften, die diese Leute ansonsten nicht begehen würden. Dann würde der Staat nämlich den Extremismus, den er verhindern und bekämpfen soll, selbst produzieren.
Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Straftaten von Internetquellen des Verfassungsschutzes, insbesondere im Bereich der Hass- und Propagandadelikte, in die polizeiliche Statistik der politisch motivierten Kriminalität (PMK) einfliessen können und sie damit letztlich verfälschen.
Der Polizei ist im Zweifel nicht bekannt, ob die Straftat von einer Internetquelle des Verfassungsschutzes oder von einem wirklichen Extremisten begangen wurde. Da aber die PMK-Statistik regelmässig Grundlage von politischen Entscheidungen ist, muss man verlangen, dass sie von Straftaten bereinigt wird, die von geheimdienstlichen Quellen begangen wurden.
Das schwerwiegendste Problem aber, das ich bei dem Einsatz von Internetquellen durch den Verfassungsschutz sehe, ist ein politisches Problem: Der Verfassungsschutz, darf nicht beobachten, was und wen er will, sondern er ist nach dem Gesetz verpflichtet und auch nur berechtigt, Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Staates gerichtet sind, oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane zu beobachten.
Der Verfassungsschutz soll gerade nicht dazu missbraucht werden können, Kritiker der Bundesregierung oder Personen oder Gruppen, die nicht zum Mainstream zählen, auszuforschen und mundtot zu machen.
Dies wäre nicht nur rechtswidrig, sondern mit Blick darauf, dass dadurch zentrale Elemente der freiheitlichen Grundordnung wie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit beschädigt werden könnten, sogar eine ernste Gefahr für unsere Demokratie.
Diese Gefahr nehme ich besonders ernst, nachdem Vertreter der Regierungsparteien den «Kampf gegen rechts» als wichtige sicherheitspolitische Aufgabe ansehen. Dabei geht es nicht um die Bekämpfung des Rechtsextremismus, sondern um all das, was aus ihrer Sicht rechts vom Mainstream ist.
Diese Gefahr droht sich dadurch zu realisieren, dass nach dem neuen Verfassungsschutzbericht der Verfassungsschutz auch eingesetzt werden soll, wenn Bürger «demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich (machen), ihnen öffentlich die Legitimität (absprechen) und zum Ignorieren behördlicher oder gerichtlicher Anordnungen oder Entscheidungen (aufrufen)». Auch sei der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes gegeben, wenn durch eine «Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen […] das Vertrauen in das staatliche System insgesamt erschüttert und dessen Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden» kann.
All das, was danach vom Verfassungsschutz beobachtet werden darf, ist in einer gesunden freiheitlichen Demokratie normal: Es ist normal, dass man staatlichen Entscheidungen die Legitimität absprechen kann und auch gegen Entscheidungen des Staates vor Gericht zieht.
Es ist normal, dass man auch Witze und Satire über Politiker machen darf, ohne als Verfassungsfeind zu gelten. Eine derartige Ausdehnung des Beobachtungsauftrags ist selbst eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Und damit komme ich wieder zu den Internetquellen des Verfassungsschutzes und den vielen unechten Accounts. Sie bringen Risiken mit sich, aber sie sind nicht die eigentliche Gefahr. Die Gefahr besteht darin, dass sie nicht nur zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eingesetzt werden, sondern auch gegen Kritiker der Regierung und des politischen Mainstreams.
Danke, Herr Maassen, für diesen klärenden Artikel, der mich sehr hellhörig werden lässt!
Fast alle Mittel gegen Extremisten und Terroristen im rechtsstaatlichen Rahmen sind recht wenn sie die gesamte Bandbreite der Gefährder inkludieren würden. Gefährlich wird es jedoch, wenn die Bekämpfung gewisse Präferenzen aufweist, die politisch motiviert sind und einer gestalterischen Definition unterliegen, wer nun Extremist, Terrorist oder Staatsfeind ist oder nicht.
Rechtens ist nur noch die Beschriftung im Rechtsstaat den Merkel übernahm um in in eine DDR 2++ umzuformen.