Dieser Text erschien zuerst auf Nius.de. Die Redaktion.

Mit dem «Heizgesetz» erlegt Deutschlands Regierungsmehrheit der Bevölkerung eine Politik auf, die von vielen für unvernünftig gehalten, ja ausdrücklich abgelehnt wird. Das geschieht nicht zum ersten Mal.

Gegen lautstarken Bevölkerungsprotest wurde einst Deutschlands Wiederbewaffnung durchgesetzt, später die Nato-Nachrüstung. In diesen beiden Fällen errang allerdings jene Partei, die so Unpopuläres gewagt hatte, fast zwei Jahrzehnte lang grosse Mehrheiten. Die Politikergebnisse gaben ihr nämlich recht.

Allerdings stellt sich meist erst im Nachhinein Klarheit darüber ein, welche Politik taugt oder Übles zeitigt. Man sollte also die Einschätzung konkreter Politik unbedingt von den zu ihr führenden Entscheidungsverfahren trennen. In einer Demokratie läuft das regelmässig auf die Frage hinaus, ob das Staatsvolk wichtige Entscheidungen selber treffen oder gewählten Politikern anvertrauen soll.

In einer «direkten» Demokratie entscheidet die Bürgerschaft unmittelbar darüber, was politisch geschehen soll. Das kann sich so zutragen, wie auf den Schweizer Landsgemeinden von Glarus und Appenzell, also bei einer Volksversammlung. Die andere Möglichkeit sind Volksabstimmungen, bei denen über eine Vorlage mit «Ja» oder «Nein» zu befinden ist.

Viele bevorzugen gefühlsmässig Volksversammlungen und Volksabstimmungen. Doch es gehört auch zu deren Geschichte, dass schon im 5. Jahrhundert v. Chr. die Athener durch Fehlentscheidungen der Volksversammlung ihre Demokratie ruinierten – und dass im 19. Jahrhundert die Franzosen ihre Zweite Republik durch eine Volksabstimmung abschafften. Beides vollzog sich recht kurz nach der Einführung von Demokratie bzw. Republik.

Und weil diese Fälle durchaus nicht einzigartig sind, lehrt der Blick in die Geschichte, dass man Freiheit und politische Vernunft am verlässlichsten durch die Verbindung von Demokratie mit Repräsentation sichert. Die beiden sind aber keineswegs zwei Seiten derselben Medaille.

Der grosse Vorteil von repräsentativer Demokratie, die zwei sehr verschiedene Dinge verbindet, besteht in der besonderen Rolle der Abgeordneten. Von denen hat man es gern, wenn sie sich von Bevölkerungswünschen leiten lassen. So gehört es sich auch in einer Demokratie.

Doch Repräsentation birgt schon im Kern, dass die Repräsentanten auch Gegenpositionen zur Bevölkerung beziehen dürfen, wenn ihrer Ansicht nach die Verwirklichung von Bevölkerungswünschen dem Gemeinwohl schadet. Diese Gegenposition haben Abgeordnete der Wählerschaft allerdings geduldig mit Argumenten zu erklären. Dem Bürger steht es dann frei, seinen Vertretern zu glauben oder nicht.

Wenn aber Repräsentanten auch gegen ausdrückliche Wünsche der Repräsentierten entscheiden dürfen, kann eine Parlamentsmehrheit eine ganze Wahlperiode lang den eigenen Willen gegen Bevölkerungswünsche durchsetzen.

Sie soll das sogar tun, solange sie den Glauben hegt, entgegenstehende Bevölkerungswünsche würden sich dann ändern, wenn die Wählerschaft ebenso viel über die zu bewältigenden Probleme lerne, wie das gutbezahlten Parlamentariern möglich und von ihnen auch zu verlangen ist. Genau das ist der Mehrwert von Repräsentation.

Mit Demokratie verbindet Repräsentation allein, dass regelmässige, verlässlich binnen weniger Jahre durchgeführte freie Wahlen dafür sorgen können, dass die Abgeordneten nicht allzu lange – oder nicht allzu weit – von dem abweichen können, was die Wählerschaft hinzunehmen bereit ist. Stimmenanteile und Mandatszahlen schrumpfen nämlich am Wahltag oft sehr, falls man zuvor eher unnachgiebig gegen den Willen des Wahlvolks anregiert hat. Zu Recht verlieren Politiker dann an politischer Macht.

Umgekehrt entstehen neue Parteien, wenn etablierte Parteien Repräsentationslücken dadurch haben aufreissen lassen, dass sie sich zu wenig um anhaltende Sorgen oder Wünsche der Bevölkerung kümmerten. Auf diese Weise führte Deutschlands Eurozonen- und Migrationspolitik einst zum Aufstieg der AfD.

Kluge Politiker beherzigen solche Zusammenhänge schon im Vorhinein. Sie verzichten dann auf arrogantes «Durchregieren» oder auf die grundsätzliche Ausgrenzung Andersdenkender. Vielmehr bemühen sie sich, für ihre Politik mit Geduld und guten Argumenten zu werben und Gegenargumente redlich zu entkräften. Schaffen Politiker das, oder wirkt sich ihre Politik wenigstens vorteilhaft aus, dann bekommen sie am Wahltag häufig das zuvor riskierte Vertrauen der Wählerschaft erneuert und bestätigt.

Das nennt man «demokratische Legitimierung». Willy Brandt errang selbige einst für seine Ostpolitik, Helmut Kohl für seine Nachrüstungspolitik.

Doch diese freiheitssichernde Maschinerie repräsentativer Demokratie läuft nur dann rund, wenn mit ihr allseits funktionsgerecht und gutwillig umgegangen wird. Das aber unterbleibt, wenn sich – wie derzeit – viele Politiker nicht mehr als Volksvertreter betrachten, sondern als Erzieher oder Zuchtmeister einer rückständig oder als moralisch fragwürdig angesehenen Bevölkerungsmehrheit auftreten.

Ebenso schädigend ist es für eine repräsentative Demokratie, wenn die Wählerschaft nicht wirklich abwägt, welche Folgen die Politik einzelner Parteien für ihr Land haben wird, sondern sich von netten Gesichtern oder eingängiger Sprache blenden lässt. Und schon gar nichts Gutes kommt heraus, wenn Politiker vorrangig ihre Karriere im Sinn haben und es ihnen gleichzeitig an einer verlässlichen Richtschnur bei Sach- und Wertfragen fehlt. Das alles erleben wir seit einigen Jahren.

Leider hat sich weder in der Bürgerschaft noch in den Reihen der Politiker bislang die Einsicht durchgesetzt, dass es – zusätzlich zu den schon verfügbaren Sicherungen repräsentativer Demokratie – die Möglichkeit geben sollte, einer Parlamentsmehrheit punktgenau dann in den Weg zu treten, wenn sie ein unplausibles oder gar empörendes Gesetz zu verabschieden versucht. Obwohl das rechtlich ginge.

In Sachsen bewarb man vor einigen Jahren diese Möglichkeit als «Volkseinwand». Technisch spräche man von einem «gesetzesaufhebenden Referendum auf Grundlage einer Volksinitiative». Dieses Instrument funktioniert im Wesentlichen so: Das Parlament verabschiedet ein Gesetz; innerhalb von etwa hundert Tagen kann eine Initiativgruppe eine zwar nicht niedrige, doch auch nicht unerreichbar hohe Anzahl von Unterschriften zur Unterstützung der Forderung nach einer Volksabstimmung darüber sammeln, ob jenes Gesetz wirklich in Kraft treten soll; und gegebenenfalls findet dann eine Volksabstimmung statt, die den parlamentarischen Gesetzesbeschluss aufhebt.

Gesetze müssten dann nicht nur verfassungskonform sein, sondern auch – wie in der Schweiz – «referendumssicher». Das würde grosse Auswirkungen bereits im Vorfeld haben.

Beispiel: Habecks Heizgesetz wäre nie so, wie es ist, dem Bundestag vorgelegt worden, wenn der Ampel-Mehrheit ein gesetzesaufhebendes Referendum gedroht hätte.

Bei Vorlage eines bedachteren und klügeren Gesetzes wäre nicht nur unserem Land, sondern auch der Regierungsmehrheit viel Übles erspart geblieben. Es erscheint hochgradig sinnvoll, wenn wir Deutschlands repräsentative Demokratie durch einen politisch bindenden «Volkseinwand» gegen nicht plausibilisierbare Gesetze verbesserten.