Alles, was rechts ist … – ist nicht normal in Deutschland.

Wenn sich jemand als politisch links verortet, gilt das als neutral und wird mit Schulterzucken zur Kenntnis genommen. «Rechts» ist anstössig. Kein Wunder also, dass die jüngsten Umfragen mit 19 Prozent Zuspruch für die AfD das alte Schlagwort vom «Rechtsruck» wieder als Angstprojektion auf die Wände der Berliner Republik projiziert.

Dabei ruckt viel weniger, als man denkt. Bei der Bundestagswahl 2017 erhielt die Union 32,9 Prozent, die FDP kam auf 10,7 Prozent und die AfD auf 12,6 Prozent. Macht 56,2 Prozent für ein rein rechnerisches «Bahamas»-Bündnis aus Schwarzen, Blauen und Gelben. In den aktuellen Umfragen hätte «Bahamas» 54,5 Prozent.

Geändert hat sich vor allem die Politik der Bundesregierung, die – vor allem getrieben von den Grünen – links an den Mehrheiten im Land vorbei betrieben wird: Es gab keine Mehrheiten für die Abschaltung der Kernkraftwerke, keine für das geplante Verbrenneraus, keine fürs Gendern, für das Verbot fossiler Heizungen, und Klima-Kleber haben gleich gar keine Akzeptanz.

Hinzu kommt, dass die konsequente Ausgrenzungspolitik gegenüber der AfD zu dem falschen Eindruck verleitet, die Stimmen existierten gar nicht, und man könne an den Schmuddelkindern vorbei weiter wie bisher machen. Das «Brandmauer»-Mantra (CDU-Chef Friedrich Merz: «Es gibt niemanden, der mich übertrifft in der klaren Ablehnung dieser Partei …») führt aber auch dazu, dass die «Alternative» geradezu ein Alleinstellungsmerkmal als Anti-Etabliertenpartei und einzige wirkliche «Alternative» erhält. Zumal die Union als Ausweis ihrer «konstruktiven Oppositionsarbeit» stolz darauf verweist, von rund 190 Abstimmungen der Ampel-Koalition 108 mitgetragen zu haben.

Kein Wunder, dass Regierungskritiker sich allein im Regen stehen sehen.

Es muss ein Ruck durch Deutschland gehen, sagte Bundespräsident Roman Herzog (1934–2017) in seiner berühmten Rede schon 1997. Die Wahrheit ist: Deutschland ruckt nicht. Nicht politisch und auch nicht bei Reformen, Digitalisierung oder Klimaschutz.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.