Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse sieht die SPD nach der jüngsten Wahlniederlage vor einer existenziellen Herausforderung. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kritisiert das SPD-Urgestein, dass sich die Partei von der gesellschaftlichen Mitte entfernt habe.

«Die SPD hat sich in der Ampelkoalition mit allem Möglichen befasst, Selbstbestimmungsgesetz, Cannabis-Legalisierung, Heizungsgesetz. Themen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft liegen», so Thierse. Die Partei sei in den vergangenen Jahren «ziemlich profillos» geworden, ihre ursprüngliche Identität als Partei der sozialen Gerechtigkeit und Arbeitnehmer habe gelitten.

Besonders heftig kritisiert Thierse die thematische Ausrichtung: «Diversität, Identität, Gender et cetera sind Nebenfragen, die nicht dasselbe Gewicht haben dürfen» wie Arbeit, Einkommen, wirtschaftliche Zukunft oder Zukunft des Sozialstaates. Der versprochene Mindestlohn von 15 Euro habe im Wahlkampf kaum Wirkung gezeigt.

Trotz der historisch schlechten Wahlergebnisse fordert Thierse, dass die SPD in der Regierung bleibt, um ein Erstarken der AfD zu verhindern. Ein Rückzug in die Opposition sei keine Option.