Die Welt schien ihm zu Füssen zu liegen – oder zumindest der intersexuelle Teil davon. Mit dem Siegersong am Eurovision Song Contest hatte er nicht nur den musikalischen Code geknackt; auch politisch rannte er (offene) Türen ein. Er – oder es – wurde von Bundesrat Beat Jans empfangen, verlangte die Einführung eines dritten Geschlechts und damit eine Revision der Schweizer Verfassung.

In Funk, Fernsehen und geschriebenen Medien wurde plötzlich der Sprachgebrauch geändert. War von ihm die Rede, wurde auf den (grammatikalischen) Artikel verzichtet: Nemo ritt mit schwindelerregenden Tempo auf der woken Welle des Zeitgeists.

Doch anders als auf der Bühne des ESC-Finals, wo er elegant auf einem drehenden Kreisel balanciert hatte, verlor er im realen Leben das Gleichgewicht. Bei kritischen Fragen brach er die Interviews ab, unliebsamen Medien gab er schon gar keine Antwort, an Konzerten sprach er ein Fotoverbot aus – und für eine konventionelle Weltanschauung hatte er kein Verständnis. Dennoch: Nemo besass noch immer grosses Potenzial, sich in den Herzen der Schweizerinnen und Schweizer festzusetzen.

Doch dann unterlief ihm ein schwerer Fehler. Er vergass, weshalb er quasi über Nacht an die mediale Oberfläche und ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gespült worden war: wegen eines genialen Songs und eines starken sängerischen Auftritts.

Auch deshalb warteten die Fans sehnlichst auf weitere Charthits. Und Nemo kündigt alles an, was das Herz begehrte: eine Europa-Tournee, TV-Auftritte – und sein erstes Album. Bisher ist es bei den Versprechen geblieben. Geliefert hat der Bieler Barde nur eine einzige Single.

Dabei dürfte es bis auf weiteres bleiben: Die schon lange versprochene Europa-Tournee ist auf den Herbst verschoben, auf das Album wartet man vergebens, seine Band hat er komplett ausgewechselt – und auch das Verhältnis zu seinem Management ist gekappt.

Mit anderen Worten: Nemo Mettler aus Biel demontiert sich selber. Er droht so zu enden, wie es vor ihm schon manchem ESC-Sternchen ergangen ist: als One-Hit-Wonder (Eintagsfliege). Die öffentliche Bestürzung darüber dürfte sich in Grenzen halten. Wer nichts produziert (und sich in die künstlerische Selbstisolation flüchtet), kann auch nicht vermisst werden.