Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 16. Juni 2023 gegen die Schweiz ist klar: Erwin Sperisen hatte kein faires Verfahren erhalten. Die Genfer Berufungskammer war befangen. Sie hatte den Ex-Polizeichef von Guatemala mit fünfzehn Jahren Gefängnis bestraft, weil er einen (in derselben Sache längst freigesprochenen) Kommandanten nach einem Gefängnismassaker gedeckt haben soll. Dieses Urteil ist damit hinfällig. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Erwin Sperisen befindet sich demnach seit gut elf Jahren ohne rechtsgültiges Urteil in Haft. Die Zeit drängt. Doch die Schweiz, ansonsten eilfertig im Umsetzen der Strassburger Urteile, hat es nicht eilig. Das Bundesamt für Justiz (BJ) liess die Frist zur Anfechtung des Strassburger Verdikts ungenutzt verstreichen. Letzte Woche wurde es rechtskräftig. Der Fall sei nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wiegelt das BJ ab. Man werde nun Sperisen eine Entschädigung von 15.000 Euro überweisen. Falls er sich damit nicht begnüge, könne er bei Bundesgericht eine Revision des Genfer Urteils verlangen.

Sperisens Anwälte haben das Revisionsbegehren am 15. September beim Bundesgericht deponiert, mit dem Antrag, ihren Mandaten unverzüglich freizulassen. Da Sperisen im nächsten Frühling seine Strafe so oder so abgesessen haben wird, besteht weder Flucht- noch Kollisionsgefahr. Doch das Bundesgericht schmetterte den Entlassungsantrag noch am selben Tag ab. Dafür seien die Richter in einem allfälligen Revisionsverfahren zuständig. Und bis ein solches läuft, können noch Jahre vergehen.