«Was ist wichtiger: Werte oder wirtschaftliche Interessen?», fragt der Tages-Anzeiger. Für Gerhard Pfister ist die Antwort klar: Werte müssen an erster Stelle stehen – auch wenn der Preis dafür hoch sei.
Die beiden Qualitäts-Journalisten des Tages-Anzeigers kamen freilich nicht auf den Gedanken, den bestverdienenden aller Schweizer Parteipräsidenten an seinen Taten zu messen.
Sie fragen nicht, ob Neutralität, Schutz der Rechte des Volkes, Wahrung der Unabhängigkeit, Sicherheit sowie Zusammenhalt des Landes und nicht zuletzt die Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt (Bundesverfassung Artikel 2) keine Werte seien, für die es sich einzustehen lohnt.
Gefragt wird auch nicht, ob Pfister seine zwanzig Mandate, die er öffentlich angibt, davon vierzehn bezahlt, nur angenommen hat, um seine hehren Werte besser einbringen zu können.
Oder sitzt er etwa im Vorstand des Verbands der Schweizerischen Zementindustrie, um dort den CO2-Ausstoss zu reduzieren?
Kämpft er im Schweizer Casino-Verband gegen die Spielsucht?
Oder ist es nicht zumindest ein bisschen verwerflich, eine traditionsreiche Schule an bester Lage über dem Aegerisee aufzugeben und an ihrer Stelle Luxuswohnungen hinzustellen?
Man sollte nicht so tun, als sei man von Altruismus, von «Werten» getrieben und stehe moralisch über anderen.
Es ist einfach, von Moral zu reden, wenn man selbst in Wohlstand lebt und nichts zu befürchten hat.
Genau darum ging es Macheath in seiner berühmten Passage der Dreigroschenoper:
Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann
Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben
Dann könnt ihr reden: damit fängt es an.
Ihr, die euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr’s immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten
Vom grossen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
Lieber Gerhard Pfister, hier geht es um dich.