Mit Traditionen muss man manchmal brechen. Das geht mir durch den Kopf, als ich die Türe zum wortwörtlich abgehobensten Japaner der Schweiz öffne: dem Restaurant «The Japanese at Gütsch», gelegen 2340 Meter über Meer unmittelbar neben der gleichnamigen Bergstation im Skigebiet Andermatt-Sedrun-Disentis.

Es ist Sonntag, der 18. Januar, 12.30 Uhr, und die ganze Schweiz, nein, die komplette Skiwelt schaut gerade nicht hierhin, nein, sondern auf das Lauberhorn, wo in demselben Moment die Abfahrt der Männer beginnt. Auf mich aber wartet eine andere Art von Abenteuer – Genuss statt Tempo, Entschleunigung statt Adrenalin. Auf dem Lunch-Programm steht ein viergängiges sogenanntes Omakasa-Menü (165 Franken pro Person, exkl. Getränke), wobei «Omakase» bedeutet, dass man die Auswahl der Gerichte dem Küchenchef überlässt.

Wobei es in diesem Falle gleich zwei Köche sind, die in der offenen Küche der vornehm eingerichteten, modernen «Bergbeiz» zu Werke gehen, und zwar die beiden Zwillinge Fabio Toffolon und Dominik Sato. Ihr Verdienst ist es, dass über die nächsten gut zwei Stunden, während schweizweit 1,17 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer vor ihren Bildschirmen und 40.000 Zuschauer vor Ort in Wengen Marco Odermatt zujubeln, sämtliche meiner rund 9000 Geschmackspapillen aus dem Häuschen geraten.

Silbermedaille für die Zwillinge in der Küche

Geboten bekomme ich Geschmäcker, eine Präsentation und eine Qualität, wie man das auf der Skipiste kaum irgendwo sonst findet. Konkret erhalte ich an diesem Tag Jakobsmuschel mit japanischem Rettich statt Russisprung, Kalbsbries mit Pilzen und Miso statt Hundschopf, Kaisergranat mit Blumensprosse statt Minschkante – und das leicht nussig schmeckende, zarte Stück US-Prime-Ribeye des Schaffhauser Fleischveredlers Luma begleitet mich quasi durch das Ziel-S dieses unvergesslichen Mittagessens.

Das Zeug zum Pisten-Klassiker der extravaganten Art hier auf 2400 Metern hat eine Kreation, die daherkommt wie eine Art japanischer Taco: exklusiver Blauflossenthunfisch, Daikon, Reis, ein Shisoblatt, zuoberst etwas chinesischer Kaluga-Kaviar von NO25. Das alles ist auf ein hauchdünnes Blatt aus Meeresalgen gebettet, das den Tortilla ersetzt. Das wunderschöne Häppchen ist mit 46 Franken pro Stück auf der Karte veranschlagt – und in zwei Bissen Geschichte. Aber was für eine!

Das Fazit ist rasch gezogen: eine meisterhafte Leistung von Team Toffolon/Sato! Einziger Wermutstropfen: Die sportliche Aktivität kommt an diesem sonnigen Tag eindeutig zu kurz. Das ist aber zu verschmerzen, angesichts der bleibenden Eindrücke. Die beiden Schaffhauser Köche verabschieden sich, noch ehe ich wieder aus meinen Hotelpantoffeln geschlüpft bin, die man hier zu tragen bekommt. Denn Fabio und Dominik haben selbst noch eine Abfahrt vor sich: Für sie geht es tausend Höhenmeter den Berg hinunter ins Hotel «The Chedi Andermatt», wo sich ihr Hauptarbeitsplatz befindet. Dort, im Gourmetlokal «The Japanese», werden in nur wenigen Stunden bereits die nächsten Gäste Platz nehmen, um sich von ihnen verwöhnen zu lassen.

Für ihre Küchenkunst gibt es vom «Guide Michelin» übrigens zwei von drei Sternen, also sozusagen Silber. Und dem «Gault Millau» ist das Gebotene 18 von 19 möglichen Punkten wert (20 Punkte werden traditionellerweise niemals vergeben). Das Pisten-«Japanese» auf dem Gütsch mit abgespeckter Karte ist mit 16 Punkten dekoriert.

Das Restaurant «The Japanese at Gütsch» wird vom Hotel «The Chedi Andermatt» betrieben und ist, abgesehen von einer einwöchigen Saisonpause ab 25. April, bis Anfang Juli 2025 geöffnet. Das Pop-up mit N25 Caviar dauert noch bis zum 17. Februar 2025. Montags und dienstags ist das Restaurant geschlossen. Dieser Besuch wurde vom Hotel unterstützt. www.thechediandermatt.com

Autor Oliver Schmuki ist Redaktionsleiter des WW Magazin.