Wieder einmal lagen die Meinungsforscher in Argentinien grossartig daneben. Rund 35 Prozent hatten sie dem libertären Kandidaten Javier Milei zugebilligt, rund 30 Prozent dem regierenden Linkspopulisten Sergio Massa. Es kam genau umgekehrt.

Stand Mitternacht nach Auszählung von über 95 Prozent der Stimmen: 36,55 Prozent für Massa, 30,06 Prozent für Milei.

Noch ist für Milei nichts verloren. Wenn die 23,85 Prozent der Wähler zu ihm wechseln, die am Sonntag für die Mitte-rechts-Kandidatin Patricia Bullrich gestimmt haben, wird er die Stichwahl am 19. November gewinnen.

Doch auf Ideologien ist in Lateinamerika kein Verlass. Für die meisten Wähler sind die Persönlichkeiten wichtiger als ihre Versprechen, die in aller Regel ohnehin gebrochen werden. Und der gewiefte Rhetoriker Massa zieht alle Register. Grosszügig verteilt er Geld, preist sich als Mann der Einheit und der Vernunft.

Tatsache ist: Während der Newcomer Milei lediglich das Resultat der Vorwahlen halten konnte, hat der alte Politprofi Massa markant zugelegt.

Nach zwei Jahrzehnten «Kirchnerismo» steht Argentinien mit einer dreistelligen Inflationsrate und einem rasant wachsenden Budgetdefizit vor dem Staatsbankrott. Dass es so nicht weitergehen kann, begreift jedes Kind. Keine kommerzielle Bank der Welt gibt diesem Land noch einen Cent Kredit. Doch die Angst vor der unausweichlichen Rosskur ist so gross, dass man sie vor sich herschiebt.

Auch wenn Milei die Stichwahl verlieren sollte, sein Erfolg bleibt eine Sensation. Noch nie hat es in Lateinamerika ein bekennender Libertärer so weit gebracht.

Fast aus dem Nichts hat Mileis libertäre Allianz am Sonntag voraussichtlich 38 Sitze im Repräsentantenhaus und acht Sitze im Kongress geholt. Falls es ihm gelingt, mit Bullrichs Rechtsbündnis zusammenzuspannen, sind die Tage des Linkspopulismus in Argentinien gezählt.