Dieser Text erschien zuerst auf dem Online-Portal Corrigenda.

Was geht uns Schweizer Deutschland an?

Das ist in erster Linie eine individuelle Frage, die jeder für sich beantworten muss. Derzeit zu reden gibt aber, wie die öffentlich-rechtlichen Medien das sehen. Allen voran das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), die gebührenfinanzierte Senderkette.

Tristan Brenn, Chefredakteur des Schweizer Fernsehens, hatte vor einigen Wochen mit einer denkwürdigen Aussage aufhorchen lassen. Diverse Zuschauer hatten sich darüber beklagt, dass die Enthüllungen rund um das deutsche Robert-Koch-Institut bei SRF kein Thema waren. Es erschien weder eine Meldung dazu noch eine vertiefte Recherche. Die offengelegten Protokolle, die zeigen, wie gross der Einfluss der Politik auf die Wissenschaft während Corona war: In der Schweiz wurden sie totgeschwiegen.

Das werde auch so bleiben, liess der oberste Inhaltshüter des SRF verlauten. Denn die Ereignisse, die deutsche Medien zum Teil als regelrechtes Erdbeben werteten, gingen die Schweiz nichts an. Das sei eine rein deutsche Angelegenheit. Was natürlich nicht stimmt. Denn es ist erwiesen, dass sich die Schweiz bei ihren Corona-Massnahmen und bei der Bewertung der Gefahr durch Covid-19 eng an Deutschland orientierte. Das Robert-Koch-Institut und seine Beurteilungen galt als Massstab für die Politik, auch in der Schweiz.

Deutschland bleibt präsent

Aber selbst wenn man diese Vorgänge als rein innerdeutsche Angelegenheit abtut: Haben sich das staatsnahe Radio und TV in der Schweiz demnach nun ganz vom Nachbarn abgewandt? Berichten sie konsequent nicht mehr über Angelegenheiten dort, die sich nicht auf das eigene Land auswirken?

Ein Blick auf das Programm der vergangenen Wochen belehrt uns eines Besseren. «Kann der Prozess die Reichsbürger entscheidend schwächen?» – «Hochwasser in Deutschland: Viele Rettungs- und Räumungseinsätze.» – «St. Pauli steigt in Bundesliga auf – Leverkusen marschiert weiter.» – «Spionageversuche: Geht Deutschland schärfer gegen China vor?» – «Deutschland: So viele Straftaten registriert wie seit 2016 nicht mehr.» – «Kiffen ist in Deutschland jetzt legal – was man dazu wissen muss.»

Schweizer Freunde des Fussballs, des gepflegten Drogenkonsums im Freundeskreis und von statistischen Erhebungen rund um Kriminalität müssen also nicht auf Nachrichten aus dem Nachbarland verzichten. Sie werden grosszügig bedient. Nimmt man den SRF-Chefredakteur beim Wort, sind die Beziehungen zwischen Deutschland und China und das Auf und Ab in der Bundesliga relevant für die Schweiz. Nicht aber Enthüllungen aus einem wissenschaftlichen Institut, auf dessen Prognosen und Warnungen auch die Schweizer Politik abgestellt hat.

Sylt ja, Ausländer-Clans nein

Getreu diesem Massstab ist es auch kein Wunder, dass die jüngsten Vorgänge auf der deutschen Ferieninsel Sylt ein Thema für das Schweizer Radio und Fernsehen waren. «Empörung über Sylter Skandalvideo – Club erstattet Strafanzeige», titelte SRF. Sylt ist rund 1100 Kilometer von Zürich entfernt. Aber offenbar muss das Schweizer Publikum dennoch bis ins Detail darüber Bescheid wissen, was einige Betrunkene in einer norddeutschen Lokalität gegrölt haben. Wie war das mit der Beschränkung auf Themen, die für die Schweiz wichtig sind?

 

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Das alles ist natürlich kein Zufall, sondern hat System. Die Wiedergeburt nationalistischer Träume, umstürzlerisch veranlagte Reichsbürger, das hässliche Gesicht der Fremdenfeindlichkeit: Da überschlägt sich der Gebührensender vor Lust am offensiven Berichten. Übergriffe von ausländischen Clans auf Deutsche, zunehmende Gewalt in Migrantenkreisen, die verzweifelte Situation an so mancher «Problemschule» in Städten, wo Deutsch als Fremdsprache gilt: Das alles muss der Schweizer nicht wissen. Es geht ihn nichts an. Es betrifft ihn schliesslich nicht.

Diese Themen wären relevanter

Nüchtern betrachtet sind die genannten Themen sehr viel relevanter für die Schweiz, weil sie, wenn auch dosierter und langsamer, auch hier Einzug halten. Was in Deutschland geschieht, erreicht meist früher oder später auch die Schweiz. Das trifft aber eben vor allem auf die Auswirkungen der Migrationspolitik zu – und nicht auf einige Alkoholisierte auf Sylt oder das Schicksal des FC St. Pauli.

Hier sind keine journalistischen Massstäbe in Kraft, sondern politische. Es soll ein bestimmtes Bild gezeichnet werden. Deutschland ist für den Schweizer Staatsfunk dann ein Thema, wenn eine drohende Gefahr von rechts suggeriert werden soll. Alles, was anders klingt, wird als «nicht relevant» verbucht.