Trümmerhaufen, zerstörte Gebäude, heulendes Pfeifen von Raketen, ohrenbetäubender Lärm von Explosionen: So präsentiert sich uns das Stahlwerk Asowstal, das die ukrainische Armee als ihren letzten Stützpunkt in der Stadt Mariupol verteidigt. Rund tausend ukrainische Zivilisten und an die zweitausend Soldaten haben sich bei den Schornsteinen verschanzt. Es seien «Nazis», sagt der tschetschenische Kommandant verächtlich, der der uns in dieser Hölle begleitet, und er fügt hinzu: «Wir sind hierher gekommen, um sie zu vernichten.» Noch vor ein paar Stunden war die Stahlfabrik die letzte Bastion in Mariupol, die voll unter ukrainischer Kontrolle stand. Aber während der Nacht hatten die Tschetschenen in einem blutigen Kampf die Linien des ukrainisches Feindes durchbrochen und einen Teil des Stahlwerks erobert. Der Kampf geht jetzt innerhalb der Fabrikanlage weiter.
Asowstal erreichen wir von Nowoasowsk aus, einer Kleinstadt, knapp 60 Kilometer von Mariupol entfernt. An einem tschetschenischen Kontrollpunkt müssen wir uns ausweisen. Dutzende Männer in Militäruniformen mit langen, ungepflegten Bärten stehen herum. Mit «Ahmad Sila Allahu akbar» begrüssen sie uns, einem Schlachtruf, der an den 2004 ermordeten Tschetschenenführer Achmad Kadyrow erinnert und gleichzeitig zur Stärke («Sila») auffordert. Kadyrows Sohn Ramsan, der die muslimisch dominierte russische Teilrepublik Tschetschenien mit sehr weitgehenden Vollmachten führt, kämpft jetzt für Putin in der Ukraine.
Die Soldaten lassen uns zunächst nicht durch. Die Kämpfe seien derzeit zu brutal. Das ohrenbetäubende Krachen der Explosionen rundum bestätigt das. Wir warten mehrere Stunden. Bis plötzlich das Signal kommt: Wir dürfen weiter.
Und dann die hässliche Fratze des Kriegs: Am Boden liegen Leichen – so viele, dass wir sie auf die Schnelle nicht zählen können. Vom östlichen Teil der Stadt ist kaum etwas übrig geblieben. Die Bomben haben nichts verschont, weder die Villen der Reichen noch die Betonblöcke aus der Sowjetzeit. Zivilisten sehen wir nicht. Plötzlich hält unsere Autokolonne an. Die tschetschenischen Soldaten befehlen uns, schnell auszusteigen und in einem der zerstörten Gebäude Schutz zu suchen. Die Mauern sind weitgehend eingerissen. Im Erdgeschoss des Gebäudes sehen wir einige Soldaten, ihre Kalaschnikows vor sich auf dem Boden, die um ein Lagerfeuer sitzen. Um uns herum fallen pausenlos Bomben und schlagen Raketen ein. «Herzlich willkommen in Asowstal», sagt ein Soldat zynisch. Er empfängt uns in einem zerschossenen Gebäude, das seit ein paar Stunden die improvisierte Basis von Kadyrows Männern ist. Ein Paar Hundert Meter von uns entfernt sehen wir die ukrainischen Posten.
Asowstal ist – oder besser: war – ein elf Quadratkilometer grosser Stadtteil, der rund sechs Prozent der Fläche von Mariupol ausmacht. Im von der Stahlfabrik dominierten Quartier standen bis vor kurzem Container und Lagerhäuser, Büros, Wohnblöcke und Schornsteintürme. All das ist kaum noch zu erkennen. Zivilisten suchen in den riesigen unterirdischen Tunnelanlagen des Stahlwerks Schutz.
«Ahmad Sila», schreit einer der Uniformierten. «Allahu akbar», antworten ihm die Bärtigen im Chor. Einige sind komplett in Schwarz gekleidet, andere tragen einen Turban. Kommandant ist hier Adam Sultanovic Delimhanow, ein Abgeordneter in der Duma und rechte Hand von Kadyrow. Delimhanow rollt eine Karte auf, legt sie auf einen improvisierten Tisch und zeigt uns die Ziele seiner Truppe im Inneren des Stahlwerks. Der Kampf sei gestern Abend besonders brutal gewesen, sagt er, er habe gesehen, wie seine Leute auf das Asow-Regiment gestossen seien, einem paramilitärischen ukrainischen Bataillon, das, so behauptet man in Moskau, aus «Nazis» bestehe. «Wir sind hier, um den Nazismus aus der Ukraine zu vertreiben», sagt Delimhanow.
Von der obersten Etage aus, die wie durch ein Wunder noch begehbar ist, blicken wir über ganz Asowstal: Rechts die von den Tschetschenen kontrollierten Gebiete, links diejenigen, die noch ukrainisch sind. Die Türme des Stahlwerks stehen unter Dauerbeschuss, immer wieder steigen schwarze Staubwolken auf. Neben den Schornsteinen schlagen Raketen ein. Das Knallen der Maschinengewehre lässt darauf schliessen, dass die beiden Armeen Mann gegen Mann aufeinanderprallen. Wir steigen über die Stufen des stark beschädigten Treppenhauses wieder hinunter, drängen uns schnell ins Auto und fahren los. Die für Putin kämpfenden tschetschenischen Soldaten rufen uns ihr «Ahmad Sila Allahu akbar» nach.
Komische Geschichte. In Mariupol wird meines Wissens schon länger nicht mehr gekämpft. Wann soll das denn gewesen sein, und gemeinsam mit wem, zu welchem Zweck? Mir viel zu reisserisch - könnte die Einleitung aus einem "Groschenroman" (andere Vergleiche mit ehem. "Journalisten" vom Spiegel verkneif ich mir) sein. Sorry!
Toller Bericht!
"Sind die Tschetschenen nicht Islamisten ?" Meinen Sie diese die Tschetschenen? https://www.swp-berlin.org/publikation/tschetschenen-im-aufstand-in-syrien