Von Hitler kommen sie einfach nicht los, die Deutschen.

Ein paar versprengte Irre gibt es immer, die den rechten Arm hochreissen und ihn heilen wollen. Vor allem aber die Linken sind geradezu vernarrt in das Feindbild mit Schmalzlocke und Nasenbart. Zur Fussball-WM in Katar fand Ulk-Autor Micky Beisenherz, dass allein das Zuschauen beim Balltreten im homofeindlichen Emirat eine Form von «mithitlern» sei, der Roman «Er ist wieder da» verkaufte sich millionenfach, und wenn am 1. September in Thüringen und Sachsen gewählt wird, steht Adolf auch wieder vor der Tür. Ruhig, Braunauer!

Allein das Datum der Wahlen spricht ja Bände, raunen halbgebildete Hobbyhistoriker, und der Spiegel sieht in Trump, Le Pen und Thüringens AfD-Chef Björn Höcke gar die «heimlichen Hitler», die offenbar kurz vor der Weltherrschaft stehen …

Darunter machen sie es nicht. Weltherrschaft oder kleinlauter multilateraler Musterknabe. Rund 7 Prozent der Deutschen wählen am Jahrestag des Überfalls auf Polen 1939, und danach dürfte in der Tat die deutsche Parteienlandschaft einigermassen durcheinandergeraten. Fackelzüge kriegswilliger Fanatiker und anderer Umstürzler werden aller Voraussicht nach dennoch ausbleiben.

Das eigentlich Dramatische an den drei Landtagswahlen im Osten wird derzeit kaum thematisiert: Die Parteienlandschaft der alten Bundesrepublik wird in Erfurt und Dresden am Wahlabend mehr oder weniger still zu Grabe getragen. Einiges, vor allem die Umfragen, spricht dafür, dass SPD, Grüne und FDP historische Schlappen erleiden und Landesparlamente entstehen, in denen die Protestparteien AfD und BSW die Mehrheiten stellen.

Die Union wird ihren Nachkriegskompass neu justieren und sich zwischen einer postkommunistischen und einer hart rechtskonservativen Partei als mögliche Partner entscheiden müssen, die man gehofft hatte, hinter eine imaginäre «Brandmauer» verbannen zu können. Für Union und SPD dürften harte, vom Wähler erzwungene Richtungsdebatten anstehen, die nicht nur den Osten betreffen. In Hessen etwa ist die AfD schon jetzt zweitstärkste Kraft.

Während Hitler sich auch nach den Landtagswahlen vermutlich nicht sehen lassen wird, wird sich die deutsche Politik mit der Frage herumschlagen müssen, wie man mit Wählern weitermacht, denen man eine Randposition im politischen Spektrum zugewiesen hatte und die sich nun anschicken, zumindest zahlenmässig die Mitte der Gesellschaft zu werden und die etablierte Politik auf der anderen Seite der selbst errichteten Brandmauer zurückzulassen.

Nicht Hitler meldet sich demnächst in Deutschland zurück, sondern der mündige Wähler mit seiner ganz eigenen Weltsicht. Die Demokratie ist nicht unter Druck, sondern in Gebrauch. Das wird bitter für diejenigen, die dem Wähler nicht zuhören wollen. Die Hitler-Hysterie hilft da nicht weiter. Man darf Höcke laut Gerichtsbeschluss einen Faschisten nennen, schreibt der Spiegel mit einer Spur Resignation zwischen den Zeilen. «Die Frage bleibt, was man davon hat.»

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.