Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Online-Portal Condorcet. Die Redaktion.

Tatort Grossrat in Bern: Während der Budgetdebatte im Dezember letzten Jahres forderte der Grünen-Politiker Manuel C. Widmer, dass man das Budget im Bereich der Bildung um 40 Millionen Franken erhöhen solle. Zur Frage, wo und wie das zusätzliche Geld investiert werden sollte, gab er einige Tipps: Bessere Löhne, Entlastungen der Lehrkräfte, mehr Personal in der Integrationsarbeit. Und er untermalte seine Geldforderung mit einer Metapher: «Wenn man ein Feuer entfachen will und es brennen soll, braucht es Holz. Wir können kein Feuer bestellen, wenn wir das Holz dazu nicht liefern.»

Damit liegt der Mann ganz auf der Linie der Personalverbände, deren Allzweckwaffe für alle Probleme im Bildungsbereich sich bekannterweise auf eine Forderung reduzieren lassen: Mehr Feuer beziehungsweise mehr Holz oder im Klartext – mehr Geld!

Die Forderungen von Bildung Bern (bernischer Lehrerinnen- und Lehrerverband) der letzten Monate wurden in einem Condorcet-Beitrag thematisiert: «LCH, Bildung Bern und andere kennen in ihrem politischen Handeln nur die Quantität. Lohnerhöhungen? Unbedingt! Arbeitszeitverkürzung? Auf jeden Fall! Harmos? Nur zu! Tagesschulen? Ein Muss! Begabtenförderung? Von uns aus! Qualitätskontrollen? Super! Frühfranzösisch? Perfekt, brauchen wir! Probleme mit der Integration? Mehr Heilpädagoginnen! Probleme mit schwierigen Schulklassen? Teamteaching! Überlastung der Klassenlehrkräfte? Eine zweite Entlastungslektion! Soziale Probleme in Brennpunktschulen? Mehr Schulsozialarbeit! Zu viel Bürokratie? Gemeinden müssen mehr Schulsekretärinnen einstellen, um die Lehrer und Schulleitungen zu entlasten!»

Anna Katharina Zenger wird in einem Bund-Beitrag folgendermassen wiedergegeben: «Die Gewerkschafterin fordert deshalb maximale Klassengrössen von zwanzig Kindern und durchgehendes Teamteaching vom Kindergarten bis zur zweiten Klasse sowie mehr zeitliche Ressourcen bei gleichen Aufgaben für die Schulleitungen.»

Viele dieser Maximalforderungen wurden im bürgerlich dominierten Grossrat abgelehnt, was von Gewerkschaftsseite gelegentlich als «Kaputtsparen bei der Bildung» kommentiert wird. Dass die Bildungsausgaben grundsätzlich aber steigen, bestreitet niemand. Im Jahr 2020 haben Bund, Kantone und Gemeinden 40,8 Milliarden Franken für Bildungszwecke ausgegeben. Dieser Betrag entspricht 16,2 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben und 5,9 Prozent des Bruttoinlandprodukts.

1996 betrugen Sie noch 16,6 Milliarden Franken. Das entspricht einer Zuwachsrate von knapp 250 Proeznt. Auch der Anteil am Bruttosozialprodukt stieg von 4,2 Prozent auf knapp 6 Prozent. Angesprochen auf die Kostensteigerung, erklärte der Leiter des bernischen Volksschulamtes, Erwin Sommer: Mehr Schülerinnen und Schüler, mehr Lektionen wegen des Lehrplans 21 und Reallohnerhöhungen für den Kindergarten und die Primarstufe.

Interessant war seine Auskunft über die Kosten pro Schüler. Sie betragen derzeit im Kanton Bern 16.429 Fr. und liegen im Schnitt der Bildungsausgaben der Kantone. Es ist genau diese Zahl, die uns interessieren muss. Denn dass bei mehr Schulkindern auch die Kosten steigen, ist eine Binsenwahrheit. Die Frage muss daher lauten: Wie viel Geld gibt die öffentliche Hand pro Schulkind aus? Und wie hat sich diese Zahl entwickelt?

Am 4. Juni 2021 schrieb Andri Rostetter in der NZZ: «Die Kantone und die Gemeinden investierten 2018 im Durchschnitt gut 20.000 Franken pro Schülerin und Schüler auf obligatorischer Schulstufe. Das ist ein Anstieg von 22 Prozent innert zehn Jahren.»

Daniel Wahl vermerkte im Nebelspalter: «Kein Staat der Welt investiert mehr Geld pro Schüler in die Ausbildung als die Schweiz. Die Ausgaben im Bildungswesen sind in den letzten zwanzig Jahren stark gestiegen. Während die durchschnittlichen realen Ausgaben im Jahr 1999 bei 12.074 Franken pro Studierendem lagen, beliefen sie sich im Jahr 2019 auf 18’370 Franken. Im Durchschnitt stiegen die Ausgaben pro Schüler innerhalb von zwei Jahrzehnten um 52,15 Prozent.»

Eine der Prämissen in der Volkswirtschaftslehre ist das Gesetz der Knappheit der Ressourcen. Dieses Prinzip wird zwar in Zeiten der stetigen Geldvermehrung scheinbar ausgehebelt, hat aber immer noch seinen Stellenwert in der Ökonomie. Die Bildungsausgaben werden im Ökonomenjargon auch Bildungsinvestitionen genannt. Und bei Investitionen gibt es immer ein «Return on Invest», sprich eine Renditeerwartung.

Was also erwarten Bildungsverantwortliche, wenn sie mehr Geld in die Bildung investieren? Für den ehemaligen Grossrats- und Parteipräsidenten der FDP Pierre-Yves Grivel (Biel) ist die Antwort klar. An einem Podiumsgespräch (2. April 2006 in Biel) sagte er: «Jeder Franken, der in die Bildung investiert wird, ist ein guter Franken!»

Die Worte aus dem Munde eines bürgerlich-liberalen Politikers lassen sich wohl vor allem damit erklären, dass Herr Grivel selbst Lehrer war und damit auch teilweise als Interessenvertreter bezeichnet werden muss. Bildungsökonomen sehen die Dinge etwas nüchterner. Wenn man mehr Geld in ein Bildungsprojekt investiert, sollten wohl auch bessere Bildungsleistungen die Folge sein.

Genau diese Frage untersuchten Matthias Biedermann, Melanie Häner und Christoph Schaltegger, Leiter des Wirtschaftsinstituts IWP an der Universität Luzern. Die Konklusion ihrer Studie, die sich einem aufwendigen Peer-Review-Prozess unterzogen hat, spricht eine deutliche Sprache: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen höheren Bildungsausgaben und klügeren Schülern. Wenn man sie konkret auf den bedeutendsten Bildungsraum der Schweiz, den Kanton Zürich, umlegt, dann lässt sich zum Beispiel Folgendes verlässlich behaupten: Wenn die Stadt Zürich – wie vom Volk beschlossen – 174 Millionen Franken in Tagesschulen investiert und der Kanton Zürich mit weiteren 150 Millionen Franken Klassenlehrer entlasten will, wird dies keinen messbaren Effekt auf die Ausbildungsqualität haben. Weder werden die Schulabgänger besser lesen noch werden mehr minderprivilegierte Kinder höhere Bildungsabschlüsse machen können.

Trotz dieser erheblichen Mehrausgaben ist der «Output» gesunken. Mittlerweile erreichen gerade noch 62,2 Prozent beim Abschluss der obligatorischen Schulzeit die Grundkompetenzen in Mathematik. In Deutsch sind es nur noch 88,2 Prozent. Mit anderen Worten: Rund ein Viertel der Schulabgänger im teuersten Bildungssystem der Welt erfüllt die Mindestanforderungen nicht mehr.

Daniel Wahl schreibt im Nebelspalter: «Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu. Ebenso wenig die Analyse, dass zusätzliche Bildungsausgaben keinen Einfluss auf die Leistungen der Schüler haben. Solche Aussagen machten schon zigfach andere Studien, die die Bildungssysteme der Länder miteinander verglichen. Sie belegten, dass Schulabgänger in teuren Bildungssystemen nicht die besten Pisa-Resultate liefern.

Doch diese internationalen Studien gerieten schnell in Verruf. Kritiker warfen den Autoren jeweils vor, bei den oft grundlegenden verschiedenen Bildungssystemen in den verschiedenen Ländern Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Sie würden beispielsweise die Effekte von Hochlohnländern mit Billiglohnländern vernachlässigen. Solches kann man nun Melanie Häner und Christoph Schaltegger, deren Studie in der Fachzeitschrift European Journal of Political Economy peer-reviewt veröffentlicht wurde, nicht mehr vorwerfen.

Die beiden haben die Auswirkungen unterschiedlicher Bildungsausgaben unter den Kantonen in der Schweiz verglichen, in einem Bildungsraum, der um Harmonisierung seiner Schulsysteme bemüht ist. Der Vorteil: Die Ausbildung ist in allen Kantonen mindestens bis zum Ende der Primarschulzeit sehr ähnlich und darum leichter vergleichbar. Dennoch sind die Pro-Kopf-Ausgaben in der engräumigen Schweiz derart gross, dass eigentlich Effekte auf die Bildungsqualität zu vermuten wären.»

Beispielsweise investierte der Kanton Wallis im Jahr 2019 lediglich 13.300 Franken pro Schüler und Schuljahr, der Kanton Freiburg knapp 11.000 Franken , der Kanton Basel-Stadt dagegen aber satte 28.600 Franken. Dennoch trägt der Kanton Basel-Stadt nach nationalen Checks regelmässig die rote Laterne. Und das, obwohl er auch in den vergangenen Jahrzehnten am stärksten zusätzliche finanzielle Mittel ins Bildungssystem pumpte: 1999 waren es 14.016 Franken pro Schüler, im Jahr 2019 betrugen die Pro-Schüler-Ausgaben 28.557 Schweizer Franken – sie stiegen massiv um 104 Prozent.

Bildungspolitiker in Basel reagierten auf die schwachen Testresultate ihrer Schüler jeweils mit vielfältigen Ausreden: Man habe viele Ausländer, man lebe in Grenznähe, man sei ein Stadtkanton und so weiter. Das mag alles stimmen. Aber mit ihrer Studie belegen Schaltegger und Häner jetzt, dass man das Problem nicht löst, indem man einfach mehr Geld ausschüttet.

Daniel Wahl: «Mit komplizierten Formeln haben sie die Effekte herausgerechnet, die zu Verzerrungen führen könnten. Getestet wurde darum die Lesekompetenz – ‹eine Schlüsselkompetenz›, wie Melanie Häner sagt. Den Messzeitpunkt legte man auf das achte Schuljahr, ‹weil die Bildungssysteme in den Kantonen bis zu diesem Zeitpunkt einander am ähnlichsten sind›.

Effekte wie die unterschiedlichen Klassengrössen und Betreuungsverhältnisse wurden ebenfalls berücksichtigt. Auch die Anzahl Unterrichtsstunden in der Landeshauptsprache. Da gibt es grosse Differenzen. Einzelne Kantone unterrichten gegen 210 Lektionen, andere wiederum nur 146. Gemäss der Studie darf man erstaunt feststellen: Klassengrössen und Anzahl Schulstunden sind gar nicht matchentscheidend, wenn man die Bildungsqualität misst. Zudem zeigt sich: Auch ohne Berücksichtigung dieser Effekte ist kein Zusammenhang zwischen höheren Bildungsausgaben und besserer Bildungsqualität nachweisbar.»

Was in vielen Ländern unter dem Begriff «Baumol-Kostenkrankheit» dokumentiert ist, lässt sich auch in der Schweiz feststellen. Die Bildungsausgaben steigen, ohne dass sich dies auf die Qualität auswirkt. Dies liegt daran, dass der arbeitsintensive Bildungssektor die Löhne erhöhte, um mit anderen Sektoren konkurrenzfähig zu bleiben. Zu einer «Produktivitätssteigerung» führt es nicht. Bemerkenswert ist in der Schweiz ferner, dass ein Grossteil der massiv gestiegenen Bildungskosten nicht einmal für Gehälter ausgegeben wurde, sondern für andere Stellen, etwa für Infrastruktur oder Verwaltungskosten oder den therapeutischen «Gürtel».

Allein in der Stadt Biel kümmern sich mittlerweile an die dreissig Institutionen rund um die Schule um das Wohl der Jugendlichen: Erziehungsberatung, Jugendpsychiatrischer Dienst, Heilpädagogisches Ambulatorium, Logopädie, Therapeutische Wohngemeinschaft, Foyer Viadukt, Stützunterricht für Fremdsprachige mit Fachstelle, Contact-Beratungsstelle für Drogenprävention, Fachstelle Berner Gesundheit, Psychologische Beratungsstelle für Lehrlinge, Move (Unterstützung für Schulabgänger), Schulsozialarbeiter, Junior-Coaching der Berufsberatungszentren, KKF Kirchliche Kommission für Flüchtlingsfragen, Krisenintervention und Gewaltprävention des Psychologischen Instituts der Uni Bern, Konflikttraining des Schweizerischen Roten Kreuzes, Jugendamt, Schularztamt, Psychologisches Erste-Hilfe-Team des Kantons Bern, Sozial- und Fürsorgeamt, Isa Informationsstelle für Ausländerfragen, Aida Alphabetisierung für junge Migrantinnen, Case-Management Berufswahl, Kultur-Mediatoren, Kirchliche Jugendberatungsstelle Project X, Jugendarbeit der Stadt Biel, Integrationsstelle der Stadt Biel, Entlastungsdienst. Trotzdem brauchen immer mehr Jugendliche eine psychische Betreuung.

Auch der Überbau wurde massiv ausgebaut. Schmiss der «alte Gilgen» (Alfred Gilgen, Erziehungsdirektor des Kantons Zürich von 1974 bis 1995) seinen Laden noch mit ein paar Dutzend Angestellten, so kann sich die heutige Erziehungsdirektorin Sylvia Steiner auf 1300 Mitarbeiter stützen. Ein inzwischen professionalisierter Schulkommissionspräsident in der Stadt Zürich verdient heute 200.000 Fr.

Die Studienautoren Schaltegger und Häner raten darum, dass sich Bildungspolitiker besser überlegen, wie finanzielle Ressourcen effizient eingesetzt werden können, statt einfach mehr Geld ins Bildungssystem zu pumpen. Entscheidend für das Erreichen der Grundkompetenzen sind vielmehr individuelle Merkmale wie der elterliche Hintergrund oder die zu Hause gesprochene Sprache. Benachteiligt ist, wer mit den Eltern nicht die Unterrichtssprache spricht.