Hat die Schweizer Politik bereits vergessen, dass der Bund erst vor zwei Jahren zugunsten der systemrelevanten Schweizer Stromkonzerne (Alpiq, Axpo und BKW) einen Verpflichtungskredit von zehn Milliarden Franken bewilligen musste, weil nicht einmal die Liquidität unserer systemrelevanten Stromversorger zum Einkauf von Strom an der Strombörse gesichert war? Die Banken konnten schon damals nicht mit Milliarden-Krediten in die Bresche springen, weil sie ihre Risikokontingente in Bezug auf Klumpenrisiken bereits mit anderen Krediten an die Schweizer Elektrizitätskonzerne ausgeschöpft hatten. Und welche Schweizer Banken ausser der UBS oder der ZKB ist schon in der Lage Kredite in Milliardenhöhe zu vergeben?

Das hindert die Politik jedoch nicht daran, der Schweiz einen energetischen Umbau mit einem neuen Gesetz, dem sogenannten Mantelerlass, zu verordnen, dessen Umsetzung einen dreistelligen Milliardenbetrag verschlingen wird. Wieder einmal wird den Stimmbürgern am 9. Juni 2024 eine Vorlage zur Abstimmung vorgelegt, über deren finanzielle Auswirkungen Unklarheit herrscht. Wer die Botschaft des Bundesrates oder das Bundesgesetz «über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien» durchforstet, findet zwar viele Zahlen, aber daraus lassen sich keine auch nur einigermassen plausiblen aktuellen Investitions- und Unterhaltsbeträge ableiten. Vor allem wird verwedelt, wie viel der Bund, wie viel die Stromwirtschaft und wie viel die Strombezüger für den energetischen Umbau zu bezahlen haben.

Für die offiziellen Kostenschätzungen muss man auf veraltete Bundes-Publikationen wie jene des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) vom März 2021 oder die Energieperspektiven 2050+ vom November 2020 zurückgreifen. Erstere schätzt die Kosten der Dekarbonisierung des schweizerischen Energiesystems in den Jahren 2020 bis 2050 ab. In seinem Hauptszenario rechnet das PSI je nach technischer Entwicklung und klimapolitischem Umfeld in Europa und der Welt mit jährlichen Pro-Kopf-Beträgen zwischen 200 Franken (= 1,8 Milliarden) und 860 Franken (= 7,7 Milliarden). Über 25 Jahre bis 2050 gerechnet, bedeutet dies einen Finanzaufwand zwischen 45 und 192 Milliarden Franken. Aber der Zahlensalat beruht auf dem Preisstand 2010. Seither sind fünfzehn Jahre verstrichen. Die Bau- und Rohstoffpreise wie auch die Löhne sind seither deutlich angestiegen.

Auch die Kostenberechnungen der Energieperspektive 2050+ basieren auf fraglichen Annahmen und veralteten Preisen aus dem Jahr 2017. Je nach Szenario gehen die daran beteiligten «Forschungsinstitute» Prognos, TEP Energy und Infras von Investitionen bis 2050 von 109 bis 121 Milliarden aus. Dazu kommen in den dreissig Jahren Betriebs- und Unterhaltkosten von 10 bis 15 Milliarden. Davon ziehen sie Einsparungen bei anderen Energien ab, wobei sie verschweigen, dass zum Beispiel beim Benzin oder beim Heizöl ein Grossteil der «Einsparungen» auf Steuern und Abgaben entfallen, welche der Bund über andere Einnahmen wieder zurückholen wird. Von Einsparungen kann keine Rede sein.

Die Perspektivstudie soll anhand von Szenarien aufzeigen, dass die gesetzten Ziele technisch erreichbar und die dafür nötigen zusätzlichen Investitionen bis 2050 tragbar seien. Die Kosten lägen nur 8 Prozent oder 109 Milliarden höher als die 1400 Milliarden, die bis dahin ohnehin für die Erneuerung und den Ersatz der Elemente des Energiesystems anfallen. Auf die Investitionskosten, die bei den Haushalten, den Hausbesitzern, in der Industrie zur Umstellung auf erneuerbare Energien anfallen werden, wird nicht eingegangen.

Und woher diese Milliarden, die sich wohl bis 2050 mehr als verdoppeln werden, kommen sollen, auch darüber findet man in beiden Studien kein Wort. Selbst wenn die Teuerung nur 2 Prozent beträgt, werden die Preise des Jahres 2017 bis 2050 um 92 Prozent zulegen. Die Energie-Lobby geht zudem davon aus, dass die Zulieferung von kritischen Materialien, Windräderflügeln, Solarpanels oder Batterien aus China jederzeit und zu bezahlbaren Preisen gewährleistet sei.

Statt den Stimmbürgerinnen und -bürgern reinen Wein einzuschenken, versucht der Bundesrat mit irreführenden Argumenten die Finanzierungsproblematik herunterzuspielen. So wird beispielsweise in den Fachunterlagen versprochen, dass keine neuen Abgaben anfallen würden. Der Netzzuschlag, mit dem die Förderinstrumente zum Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion finanziert werden, sollen wie bisher bei 2,3 Rappen pro Kilowattstunde bleiben. Das ist nur eine Teilwahrheit. Erstens wird die Frist des zeitlich begrenzten Zuschlags verlängert, und es wird angekündigt, dass allenfalls ein Winterzuschlag erhoben wird. Aber der Netzzuschlag ist nur ein Nebenkriegsschauplatz. Weit wichtiger ist die Frage, wie viel die unzähligen Subventions- und Investitionsbeiträge die Steuerzahler kosten werden und wie stark die Strompreise steigen werden.

Anfänglich werden die Teilprojekte des wohl 200-Milliarden-Franken schweren Mantelerlasses vermutlich ohne grosse Probleme finanzierbar sein. Aber wenn die traditionellen Finanzierungsquellen wie Banken, Anlagefonds und Pensionskassen einmal erschöpft sind, dann steigen die Kapitalbeschaffungskosten. Infrastrukturfonds und Verbriefungen künftiger Erträge werden von professionellen Anlegern oft gemieden, weil solche illiquiden Instrumente den Handlungsspielraum wegen langer Kündigungsfristen einengen und in Stressphasen kaum handelbar sind. Auch die Aufstockung der Eigenmittel der Energiekonzerne ist problematisch, denn sie gehören mehrheitlich der öffentlichen Hand, die nicht über die notwendigen freien Milliarden verfügt.

Einiges in der Energievorlage des Bundes erscheint vernünftig und erstrebenswert. Aber insgesamt gehört sie zurück an den Absender. Nicht nur werden die Kosten verheimlicht, es ist auch nichts Konkretes über einen Ausbau der Kernenergie oder die Reduktion der Einwanderung, die zu einer starken Zunahme der Elektrizitätsnachfrage geführt hat, darin enthalten. Es ist eine Farce, Milliarden für den Ausbau der Windenergie zu mobilisieren, wenn man bedenkt, dass selbst bei einem Bau aller vorgeschlagenen Windräder damit lediglich etwa 80 Prozent des Zusatzbedarfs infolge der 140.000 Nettozuwanderer im letzten Jahr gedeckt werden könnten. Und noch etwas: Die Behauptung in der Energieperspektive 2050+, dass das Schweizer BIP trotz des Energieumbaus bis 2050 jährlich um 1 Prozent zulegen werde, ist keineswegs erfreulich, wie suggeriert wird, denn dies bedeutet eine Halbierung des Wachstums. Pro Kopf gerechnet, ist es wegen der hohen Einwanderung noch weniger. Trotz des Corona-Rückschlags nahm das reale BIP der Schweiz in den letzten zehn Jahren bis 2023 um durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr, in den zehn Jahren zuvor sogar um 2,2 Prozent zu. Das Wirtschaftswachstum halbiert sich, unser Wohlstand stagniert, und die Befürworter des Mantelerlasses schreien hurra. Dümmer geht’s nümmer.