Pfiffe, Buhrufe, Hupkonzert – keine Chance für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), auch nur einen Satz auf der grossen Bauern-Demonstration am Montag in Berlin zu sagen, geschweige denn gehört zu werden. Eine mächtige Traktorarmada aus ganz Deutschland ist vor dem Brandenburger Tor aufgefahren. Die Bauern lassen aus einem Häcksler Hackschnetzel auf den Platz speien, fordern «Neuwahl! Neuwahl!» und haben grosse Stellengesuche an ihren Fahrzeugen angebracht: «Landwirtschaftsminister gesucht».

18.12.2023, Berlin: Landwirte nehmen mit Traktoren an einer Demonstration des Deutschen Bauernverbandes unter dem Motto «Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluss!» vor dem Brandenburger Tor teil. Anlass sind die Pläne der Bundesregierung, den Agrardiesel und die KFZ-Steuer-Befreiung für die Land- und Forstwirtschaft zu streichen. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (Keystone/DPA/Fabian Sommer)

Den aktuellen wollen sie am liebsten vergessen. Kurz vor Weihnachten hat die Ampel-Koalition den deutschen Landwirten noch ein richtig faules Geschenk unter den Baum (auch die Forstwirte sind betroffen) gelegt: Die bislang erlassene Kraftfahrzeugsteuer auf rollendes Arbeitsgerät in Forst- und Landwirtschaft soll demnächst in voller Höhe fällig werden. Die Zuschüsse zum verbilligten Agrardiesel werden halbiert, und die drastische Erhöhung der CO2-Abgaben schlägt natürlich ebenfalls noch obendrauf.

Ein Sparpaket, das die Bauern als Anschlag auf ihre Existenz verstehen. Allein 2022 gaben 1000 von 250.000 Agrarbetrieben auf. Vor 25 Jahren gab es noch doppelt so viele Höfe im Land. Das Perfide: Die Landwirte haben keine Alternative, können nicht einfach auf einen E-Traktor umsteigen oder elektrische Mähdrescher kaufen. Rund hundert Liter Diesel braucht man zum Bestellen eines Hektars, Biobauern noch deutlich mehr, weil sie keine Herbizide einsetzen dürfen/wollen und deshalb öfter über den Acker gehen müssen.

18.12.2023, Berlin: Auf einer Demonstration des Deutschen Bauernverbandes unter dem Motto «Zu viel ist zu viel! Jetzt ist Schluss!» vor dem Brandenburger Tor hält jemand ein Schild mit der Aufschrift «Finger weg vom Agrardiesel» hoch. Anlass sind die Pläne der Bundesregierung, den Agrardiesel und die KFZ-Steuer-Befreiung für die Land- und Forstwirtschaft zu streichen. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (Keystone/DPA/Fabian Sommer)

Die Bauern haben in den zurückliegenden Jahren auf Wunsch der Politik «Blühstreifen» für Bienen und Kleintiere eingerichtet, die vom Ertrag der Ackerfläche abgehen. Sie sollen ab dem kommenden Jahr 4 Prozent der Äcker als «Brachflächen» für die Artenvielfalt verkrauten lassen und kämpfen mit im härteren Auflagen bei Pflanzenschutzmitteln.

Ausgerechnet die FDP-Abgeordnete Carina Konrad, selbst Agraringenieurin mit eigenem Hof, empfahl den Bauern, einfach den Ertrag pro Hektar um zwei Doppelzentner zu steigern. Bitterer kann man nicht verhöhnt werden, als liesse sich die Ernte einfach so hochfahren wie das Förderband an der Supermarktkasse.

Nein, Freunde der Ampel-Regierung finden sich selten unter den deutschen Bauern. «Wenn die ihre Beschlüsse nicht zurücknehmen, werden wir am 8. Januar ganz Deutschland lahmlegen», rief einer vom Bauernverband in die Menge und erntete donnernde Zustimmung. Dann setzten sie sich in ihre Traktoren und fuhren zurück nach Hause. Vorbei am Kanzleramt, dessen Erweiterungsbau in den nächsten Jahren etwa so viel kosten soll, wie man bei den Bauern jetzt einsammeln will: knapp eine Milliarde Euro!

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.