Es klingt wie eine Räuberpistole, was Seymour Hersh, der grosse alte Mann des US-Investigativjournalismus, auf seiner Website verbreitet.

Aber ist es auch eine Räuberpistole? Die USA und Norwegen sollen für die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines verantwortlich sein. In Russland glaubt man die Geschichte aufs Wort. Kremlsprecher Dmitri Peskow bedauert, dass Hershs «analytisch tiefe und kohärente» Darstellung in westlichen Medien wenig Aufmerksamkeit finde. Das könne in Russland nur Erstaunen wecken.

Laut Jewgeni Popow, Moderator der patriotischen Talkshow «60 Minuten», habe Hersh der Redaktion persönlich versichert: «Alles in dem Material ist wahr. In Moskau wusste man sowieso, dass es die Amerikaner waren. Für Sie ist das nichts Neues. Und ich in Amerika versuche, allen die Augen zu öffnen.»

Popow ergänzt mit süffisantem Lächeln: Jetzt bräuchte man nur noch den Deutschen die Augen zu öffnen. Grosse Hoffnungen hegt er wohl nicht; an anderer Stelle bemerkt er, der deutsche Bundeskanzler werde «auch das» geduldig ertragen.

In den prorussischen Telegram-Kanälen gehen Hershs Enthüllungen runter wie Sahne: dass die Sprengung bereits zwei Monate vor dem russischen Angriff geplant gewesen sei, dass ein Nato-Manöver als Deckmantel für die Anbringung der Sprengsätze gedient habe. Dazu die gleichlautenden Aussagen von Präsident Biden und der stellvertretenden Aussenministerin Victoria Nuland im Januar und Februar 2022: «Wenn Russland [in die Ukraine, Red.] einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 geben. Wir werden Schluss machen damit.»

Auch dem russisch-norwegischen Verhältnis dürfte Hershs Darstellung wenig zuträglich sein. Schon wurde die Forderung nach Aufkündigung des 2010 unterzeichneten Grenzabkommens zur Ausschliesslichen Wirtschaftszone beider Länder laut.