Im April des Jahres 1940 ermordete die Sowjetunion auf Stalins Befehl rund 25.000 polnische Kriegsgefangene – vorwiegend Intellektuelle, Offiziere und Mitglieder der Vorkriegselite Polens – in verschiedenen Wäldern rund um Katyn. Die Täter wurden niemals strafrechtlich verfolgt, die Tat wurde von russischer Seite geleugnet. Jetzt verkündete der polnische Staatspräsident Andrzej Duda, er werde dieses Massaker vor ein internationales Tribunal bringen, da «Völkermord nicht verjährt». Warum gerade jetzt?

Präsident Duda scheint entschlossen. Er will verschiedene internationale Gerichtshöfe angehen, um dort endlich ein Urteil gegen Russland im Fall Katyn zu erringen. Die Erfolgsaussichten sind gut, denn die Beweislage ist erdrückend und belastet Moskau schwer. Noch dazu ist momentan das politische Klima günstig. Russland wird immer mehr zum Geächteten der westlichen Staatengemeinschaft und kann nicht mehr damit rechnen, bevorzugt behandelt zu werden.

Auch der Zeitpunkt der Ankündigung Dudas ist kein Zufall. Er sprach am Jahrestag der Flugzeugkatastrophe von Smolensk (10. April 2010), bei der unter anderem der ehemalige polnische Präsident Lech Kaczynski auf russischem Gebiet ums Leben kam; er war er auf dem Weg nach Katyn, um der Opfer von 1940 zu gedenken. Kurz vor der Rede Dudas wurde der Abschlussbericht zu diesem Sachverhalt veröffentlicht, der beweist, dass es sich damals um einen gezielten Anschlag auf das polnische Staatsoberhaupt handelte. Das Flugzeug wurde durch eine Explosion zerstört. Dass das bei der Wartung vorbereitet wurde, gilt als wahrscheinlich, aber beweisen kann man das wohl nie mehr.

Die Bilder von Katyn ähneln überdies dem, was die Welt in Butscha gesehen hat. So wie den Polen vor 82 Jahren wurden heute auch den Ukrainern die Hände am Rücken gefesselt, um sie dann per Kopfschuss zu töten. Die Aktualität dieser Symbolik ist für die Polen erschreckend. Es zeigt ihnen, dass die «menschenverachtende Brutalität» der Sowjets von Katyn immer noch das russische Bewusstsein dominiert.