Ein Untoter geht um in Deutschland. Je näher die Wahlen rücken, desto lebendiger scheint die Leiche zu werden. Adolf Hitler (1889–1945), letzter Diktator «Gross-Deutschlands», nach übereinstimmender Auffassung einer der grössten Verbrecher, die je ein Regierungsgebäude betreten haben, hat sich vor 79 Jahren in einem Berliner Bunker das Leben genommen. Doch er will und will nicht sterben. Eben titelte das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel zu den Bildern von Björn Höcke, Marine Le Pen und Donald Trump: «Die heimlichen Hitler». 

Wir fragen: Ist Adolf Hitler wirklich das grösste Problem der heutigen Bundesrepublik? Man könnte es fast meinen, lässt man die fiebrigen Schlagzeilen und Debatten aus letzter Zeit Revue passieren. Die Bundesrepublik, zumindest die gehobenen Stände in Politik, Medien, Kultur, Wirtschaft, Schule und Kirche, scheinen, je länger, desto stärker, im dämonischen Bann eines Mannes zu stehen, der vor bald achtzig Jahren in den Trümmern seiner Herrschaft starb, freiwillig aus dem Leben schied und, gelinde ausgedrückt, als Sinnbild politischen Totalversagens in die Geschichte einging. 

Natürlich muss man als Ausländer bei diesem heiklen Thema aufpassen. Ich persönlich habe grössten Respekt vor der deutschen Erinnerungs- und Aufarbeitungskultur, die auf oft vorbildliche Art und Weise dieses schreckliche Kapitel der eigenen Historie unters Mikroskop gelegt hat. Und natürlich ist es nicht nur legitim und nachvollziehbar, sondern nachgerade bewundernswert, wie die Deutschen, vor allem die Verantwortlichen in der Politik, alles daransetzen, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen, um Katastrophen wie damals zu vermeiden. 

Allmählich jedoch droht die obsessive Beschäftigung mit der Vergangenheit in eine gefährliche Verformung, ja Verdrängung der Gegenwart umzuschlagen. Die Geschichte scheint in Deutschland nicht mehr nur als Stoff lebensdienlicher Erkenntnis zu wirken, sondern vor allem als Waffe im politischen Kampf gegen Andersdenkende, Oppositionelle. So wie die rechten Eliten im Kalten Krieg ihre linken Kritiker als «Handlanger Moskaus» attackierten, verunglimpfen die linken Etablierten heute ihre rechten Kritiker bequem als «Rechtsextreme», «Faschisten» oder «heimliche Hitler».

Wehret den Anfängen oder einfach blanker Unsinn? Ich tippe, je genauer ich mir das alles anschaue, auf Letzteres. Es ist richtig, dass in Deutschland ein geschärftes historisches Bewusstsein besteht, aber eben nicht nur in Deutschland. Die Geschichte der beiden Weltkriege, die europäische Staaten angezettelt, in Kauf genommen haben, sind eine Mahnung für die ganze Welt. Die namenlosen Verbrechen, die im Zeichen des Nationalsozialismus begangen wurden, machen deutlich, was passieren kann, wenn man einer Partei, einer Person unbeschränkte Macht überträgt.

Darüber hinaus allerdings wäre ich vorsichtig, historische Parallelen zu ziehen. Die Behauptung, mit Trump, Le Pen und Höcke beginne ein neuer Faschismus der «heimlichen Hitler», geht fehl, betreibt Schindluderei mit der Geschichte. Der «Faschismus», in Italien und Frankreich entwickelt, war eine politische Ideologie, die nur aus ihrer ganz spezifischen Epoche heraus verstanden werden kann. Der Faschismus entstand als militante Gegenbewegung zum Sozialismus, aus dem er hervorging. Faschismus-Erfinder Mussolini war Sozialist, blieb Sozialist, war gegen Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft, für Diktatur und, im Zweifel, für den Krieg.

Die deutschen Faschisten unter Hitler bezeichneten sich als «National-Sozialisten» gegen die «International-Sozialisten» in Moskau. Auch sie waren für die Diktatur, gegen Liberalismus und Marktwirtschaft, Kollektivisten wie die Kommunisten, Feinde der Gewaltenteilung, doch statt auf die Klassenideologie Lenins setzte Hitler auf die Ideologie der Rasse, die er zu einer mörderischen Religion der Gewalt überhöhte. Nichts davon ist seriöserweise in den Programmen, Aussagen und Handlungen der genannten Politiker, der angeblichen «heimlichen Hitler», zu erkennen. 

Trump, Le Pen und Höcke sind, anders als Hitler, nicht dem Elend einer Grossen Depression entstiegen. Es gab keinen «Versailler Vertrag», wie er den Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg die Alleinschuld sowie absurde Reparationszahlungen auferlegte, mit dem Resultat, dass jenes brodelnde Ressentiment entstehen konnte, der Opferkult, als dessen Sprachrohr Hitler an die Macht gelangte. Auch sehen sich die Höckes und Trumps heute keiner revolutionären Bewegung gegenüber, wie sie der Kommunismus verkörperte, den die Konservativen damals europaweit als tödliche Gefahr empfanden. 

Kurzum: Die inflationären Faschismusbezüge in den deutschen Medien verkennen aus meiner Sicht sowohl den historischen Faschismus wie auch die sogenannt populistischen Parteien von heute. Höcke, Trump und Le Pen sind nicht wegen Hitler da, sondern sie verdanken ihre politische Präsenz ganz anderen Ursachen. Als wichtigste ist wohl die masslose Zuwanderung zu nennen, der die Politik bei uns viel zu lange zugeschaut hat. Ohne die politisch tolerierten bis gewollten Migrationsströme seit 2015 und deren Folgen wären weder Le Pen oder Trump noch Höcke dort, wo sie sind. 

Die Bundesrepublik hat kein Hitler-Problem. Deutschland hat, wie andere Länder, ein Migrationsproblem. Es hat Probleme mit der Wirtschaft, der Kriminalität, dem Sozialwesen und der Infrastruktur. Viele Schulen sind in einem schlechten Zustand, und die Frage einer erschwinglichen Energieversorgung steht unbeantwortet im Raum. Viele Deutsche, vor allem im Osten, haben Angst, die Russland-Politik von «Ampel» und CDU beschwöre die Gefahr eines Krieges auf deutschem Boden herauf. Anstatt die Befürchtungen ernst zu nehmen, schimpfen Regierende und Medien auf die Besorgten. 

Die Parteien wären aufgerufen, die Probleme Deutschlands sachlich zu lösen. Doch die obsessive Hitlerisierung der Gegenwart behindert inzwischen die demokratischen Prozesse. Mit Absicht? Vor allem die Etablierten verschanzen sich hinter «Brandmauern», verweigern Gespräche und Zusammenarbeit mit den aufstrebenden Parteien der neuen Opposition. Die Medien müssten diese obrigkeitliche Sabotage der Demokratie eigentlich hinterfragen, doch sie machen, siehe Spiegel, distanzlos mit, Höflinge, Hofschranzen der Macht, die sie kritisch durchleuchten sollten.