Wahrscheinlich ist der auch optisch erkennbare Eindruck richtig, dass der amtierende Bundeskanzler Scholz nicht nur wegen der von ihm gestellten Vertrauensfrage das Vertrauen verloren hat. Es ist ihm anzusehen, dass er kein Vertrauen mehr geniesst.

Das konnte man seltsamerweise sogar daran erkennen, wie er und wie das sonstige politische Umfeld mit seiner Frau umging – als sie anlässlich der Vertrauensfrage überraschend auf der Bildfläche erschien. Dass die beiden zusammengehören, konnte man an ihrem Umgang nicht erkennen. Oder sarkastisch ausgedrückt: Man hatte nicht den Eindruck, dass Olaf Scholz das Vertrauen seiner Frau geniest. Warum dann das Vertrauen des deutschen Volkes?

Meine Prognose: Sein Ansehen wird weiter leiden, und diese Entwicklung wird uns mit der kontinuierlichen Veröffentlichung von Umfragen in unsere Wohnzimmer gespült. Überhaupt werden Umfragen im weiteren Verlauf des politischen Geschehens bis zum Wahltermin am 23. Februar eine grosse Rolle spielen.

CDU und CSU werden vermutlich weiter das Feld der Umfragen anführen und mit etwas über 30 Prozent deutlich vor den Konkurrenten liegen. Zur Erinnerung: Bei der letzten Wahl erreichte die SPD mit Olaf Scholz 25,7 Prozent und die CDU/CSU 24,1 Prozent, also weniger als die SPD. Dieses Verhältnis der beiden Parteien ist völlig verändert. Heute erreicht die SPD in Umfragen im Schnitt 16 Prozent.

Dass die Union so deutlich vorne liegt, wird vermutlich eine sich selbst verstärkende Wirkung entfalten. Und da die SPD deutlich dahinter liegt und liegen wird, wird sich dieser Eindruck noch verstärken.

Die Grünen haben einen Kanzler-Kandidaten nominiert, Robert Habeck. Das war zwar eine Lachnummer. Aber diese Lachnummer könnte sich in ein bisschen Realität verwandeln, wenn die Werte von Habeck im Vergleich zu Scholz und im Vergleich zum Kandidaten der CDU/CSU, Merz, gut aussehen. Merz hat im Übrigen mit dem Handicap zu kämpfen, dass er von Blackrock kommt. Das wird von den anderen Parteien mit Recht ins Bewusstsein gehoben.

Im weiteren Verlauf des Wahlkampfes wird es wahrscheinlich Umfragen zur FDP geben, die besser aussehen als heute. In den meisten aktuellen Umfragen liegt die FDP unter 5 Prozent. Aber unter deutschen Medien wird es Kräfte geben, die die FDP gerne wieder nach oben spülen.

Genau umgekehrt sieht es mit Blick auf das Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW, aus. Anhaltspunkt für meine Vermutung ist ein Artikel im Spiegel dieser Woche mit der Überschrift «Putin darf sich freuen». Dort wird das BSW systematisch fertiggemacht. Solche Spiegel-Artikel waren in der deutschen Geschichte in den letzten siebzig Jahren immer mal wieder der Anstoss für eine weitergehende Meinungsbildung. Ob es diesmal wieder gelingen wird?

Vieles wird auch davon abhängen, welche Auftritte im Fernsehen arrangiert werden und wie die Kontrahenten dort operieren und abschneiden. Zu erwarten ist, dass der Kandidat der CDU/CSU bevorzugt werden wird und dass – wie im Spiegel dieser Woche schon vorexerziert – vor allem das BSW niedergemacht wird. Olaf Scholz und die SPD vermutlich auch.

Albrecht Müller war Planungschef im Bundeskanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. 1987–1994 war er für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages.