Grünen-Chefin Ricarda Lang (30) sass vor ihrem Handy und weinte, als SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert (35) zurücktrat. Ihren eigenen Rückzug aus der Politik begründet sie auch mit der Härte des Geschäfts. «Mir ist es zum Beispiel viel zu selten gelungen, mich aus dem Alltag rauszuziehen, um mir grundsätzliche Gedanken zu machen», sagte sie der Zeit. «Ich bin dann von Meeting zu Meeting gehastet. Ich habe zwar dauernd interessante Leute getroffen, aber mir zu wenig Zeit genommen, um diese Begegnungen zu verarbeiten und in eine politische Strategie zu übersetzen.» Auch der SPD-Aussenpolitiker Roth nahm sich ein Jahr Auszeit wegen Burnout und zieht sich jetzt aus dem zermürbenden Betrieb zurück.
Schlimme Schicksale im Deutschen Bundestag. «Ich kann mir gerade nicht vorstellen, mit Ende vierzig noch im Bundestag zu sitzen», sagte der Grünen-Abgeordnete Bruno Hönel (28) im Spiegel. Zwar habe der Beruf auch viele schöne Seiten. «Aber klar, teilweise ist dieser Betrieb auch pervers.»
Klar, viele Menschen da draussen können sich das unfassbare Elend der Abgeordneten gar nicht vorstellen. «Wenn man nach einem harten Tag dann in die stille Wohnung kommt, kann das schwierig sein. Manchmal fühle ich mich auch einsam.» Auch der Druck und das Pensum seien hoch. «Sind sie zu stark, bist du zu schwach» lautete einst der Werbespruch einer beissenden Marke für Atem-Pastillen. Inzwischen steht Stärke aber ohnehin unter Verdacht, im links-grünen Lager ist Schwäche das neue Gut.
Nun also geisseln im neuen Spiegel Jungpolitiker den gnadenlosen Politikbetrieb. Und das für lumpige 11.227,20 Euro im Monat. Plus 5051,54 Euro «Aufwandspauschale» monatlich. Noch härter trifft es den SPD-Abgeordnete Robin Mesarosch der durch den Job sogar auf schockierende Weise mit der Lebensrealität vieler Menschen konfrontiert wird, die er zu vertreten vorgibt: «Familie und Politik sind nicht vereinbar. Faktisch muss man sagen: Mein Sohn und die Politik stehen jetzt in einem zeitlichen Konkurrenzverhältnis. Und das lässt sich nicht auflösen.»
Grausam! Hätte die Bild-Zeitung ehedem vermutlich diesen Horror betitelt. Beruf und Familie in Konkurrenz? So erbarmungslos ist der Bundestag! Im Alltag bleibe ein Grossteil der Arbeit an seiner Partnerin hängen, gibt der 33-jährige Sozialdemokrat zu Protokoll. «Wenn ich früher andere Männer erlebt habe, die behaupteten, nicht kürzertreten zu können, habe ich das immer für eine faule Ausrede gehalten. Und jetzt bin ich selbst in dieser Situation. Ich setze etwas fort, das ich gesellschaftlich überwinden wollte. Das ist ein beschissenes Gefühl.»
Immerhin: Spätes Lernen ist besser als lebenslange Borniertheit. Wer sich fragt, ob der Eindruck täuscht, dass nachwachsende Politiker nicht mehr an das Format früherer Generationen heranreichen, der könnte hier ein Indiz dafür finden, dass es nicht nur Nostalgie ist, was hier mitschwingt. Es ist vielmehr ein völlig unrealistisches Bild von Leben und Arbeit, eine seltsam weltfremde Vorstellung eines vermeintlichen Anrechts auf Erfülltheit und Gestaltungsspielräume, die der Grossteil der Menschen nicht hat.
Und es ist kein Zufall, dass besonders Nachwuchs-Politiker des linken Spektrums klagen, deren Verbindung zur realen Lebenswelt noch zusätzlich knapp ist. Was sollen Klempner, Krankenschwestern oder Sicherheitsleute im Schichtdienst sagen, die für einen Bruchteil der Abgeordnetendiät ihre Lebenszeit drangeben? Von Erfüllung und Lebenssinn ganz zu schweigen.
Trucker, die ihren Feierabend auf trostlosen Rastplätzen verbringen, weil sie das allermeiste transportieren, was wir täglich konsumieren, und dabei ebenfalls wochenweise von zu Hause weg sind. Bei marginalem Pensionsanspruch. Handwerker, die die Woche über auf Montage in billigen Quartieren absteigen und abends mit den Kindern facetimen. Pflegekräfte, Ärzte im Schichtdienst, Verkäuferinnen, denen die Ladenöffnungszeiten den Arbeitsrhythmus vorgeben und nicht die Kita-Öffnungszeiten, Bauleute bei Wind und Wetter … Sie alle müssen sich hier die bestbezahlte Jammer-Jugend des Landes anhören, ohne in Wut und Bitterkeit zu verfallen.
Man könne beobachten, dass viele in der Politik mit der Zeit dünnhäutiger würden, gereizter, sagte SPD-Mann Mesarosch. «Ich will kein Arschloch werden in der Politik.» Das ist zumindest ein lobenswerter Vorsatz. Zum weltfremden Schnösel ist es allerdings nicht mehr weit.
Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.
Vielen von diesen Herrschaften war ja auch das abschliessen ihrer Ausbildung schon zu viel! Und Aufhören in der Politik können Sie nicht, weil sie mit ihrem Leistungsausweis kaum einen Job in der Privatwirtschaft finden werden.
Ralf Schuler, Sie schreiben mir aus der Seele. Danke!
Frau Lang wird mit jedem verlorenen Kilo hübscher, wie man sehen kann.