Aufruhr, Umsturz, Verwüstung.

Wer die Reaktionen der deutschen Politik auf die Blockade einer Nordsee-Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) an Bord zur Kenntnis nimmt, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass ein Wiedergänger des Bauernkriegers Thomas Müntzer (1489 bis 1525) derzeit durch deutsche Fluren zieht oder wenigstens Reichsbürger-Prinz Reuss mit seiner Armbrust sein mörderisches Unwesen treibt.

Was war passiert? Am vergangenen Donnerstag blockierten einige Hundert Landwirte in Schlüttsiel mit ihren Traktoren den Anleger einer Nordsee-Fähre, die Habeck samt Familie vom Silvester-Urlaub auf der Hallig Hooge wieder ans Festland bringen sollte. Man wolle dem ungeliebten Grünen eine «Bürgersprechstunde» bereiten, hiess es süffisant in der Einladung, die sich kurz zuvor in Bauernnetzwerken verbreitete. Habeck freilich wollte nicht mit dem aufgebrachten Chor («Wir ham die Schnauze voll! Wir ham die Schnauze voll …») am Festland reden, bot an, drei bis zehn Abgesandte zu empfangen, was diese im Gespräch mit der Polizei ablehnten. Schliesslich legte die Fähre mit dem Minister sicherheitshalber wieder ab.

Was dann losbrach, war ein Sturm der politischen und medialen Vernichtung der Bauern.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) unterstellte den Landwirten «feuchte Träume von Umsturz», Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fühlte sich an den Mord des hessischen CDU-Politikers Walter Lübcke erinnert, und Habeck selbst sah «Angriff und Gewalt» in dem wütenden Empfang durch die Bauern.

Tatsächlich gab es weder Angriff noch Gewalt, wie wir beim Nachrichtenportal Nius.de per Video belegen konnten.

Auch die Chronologie der Ereignisse zeigt, dass die Polizei jederzeit mit den Demonstranten im Gespräch war. Richtig hingegen ist, dass die Bauernproteste, die am Montag in eine «Woche des Protests» münden sollen, sich längst nicht mehr um Subventionen für Agrar-Diesel und KFZ-Steuer-Befreiung von Landmaschinen drehen, sondern einen viel breiteren Frust und Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung artikulieren.

Und wie schon im Falle der Kritiker an der Corona-Politik ist Kriminalisierung auch diesmal wieder das probate Mittel der Stunde, um missliebige Meinungsäusserungen zu ersticken. So durfte auch diesmal der fast schon klassische Topos nicht fehlen, die Bauernproteste seien «von Rechten gekapert» (Tagesschau.de), ein öffentlich-rechtlicher Journalist beschimpfte die Bauern als «Traktor-RAF», Traktor-Fahren mache offenbar dumm, ereiferte sich Ex-ARD-Chefredakteur Rainald Becker, der RTL-Journalist Nikolaus Blome schrieb vom «Kartoffel-Mob».

Bundeskanzler Olaf Scholz liess seinen Sprecher verkünden: «Die Blockade der Ankunft von Bundesminister Habeck heute in einem Fährhafen ist beschämend und verstösst gegen die Regeln des demokratischen Miteinanders. Bei allem Verständnis für eine lebendige Protestkultur: Eine solche Verrohung der politischen Sitten sollte keinem egal sein.»

Ein Spin, der auch von der Union offenbar in tief eingeübter Regierungsattitüde und unterschwelliger Angst vom Mobgeist aus der Flasche und vielen Medien ungeprüft übernommen wurde. Und all das, obwohl die Polizei selbst auf Nius-Anfrage nicht von «Gewalt» sprechen wollte.

Man könnte es als Schmierentheater und polit-medialen Grabenkampf abtun, würfe der Vorgang nicht ein ungutes Schlaglicht werfen auf die innenpolitische Stimmung in Deutschland, wachsende Wut bei Ampel-Frustrierten und eine Regentenschar, der es immer schwerer fällt, mit Regierten noch ins Gespräch zu kommen.

Und so ist Habecks ungute Begegnung mit dem Bürger nur der sichtbare Ausdruck der womöglich kommenden Begegnungen der Politik mit dem Wähler an der Wahlurne, die nicht minder unangenehm werden könnten.

Ralf Schuler ist Politikchef des Nachrichtenportals NIUS und betreibt den Interview-Kanal «Schuler! Fragen, was ist». Sein Buch «Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde» ist bei Fontis (Basel) erschienen. Sein neues Buch «Der Siegeszug der Populisten. Warum die etablierten Parteien die Bürger verloren haben. Analyse eines Demokratieversagens» erscheint im Herbst und kann schon jetzt vorbestellt werden.